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Die Wacht am Zaun. Ost-Berliner Polizisten hielten die Stellung, wo in den 50ern der West-Teil des jetzt wiederentdeckten Spionagetunnels begann. Foto: pa/akg-images

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Berlin: Spionagetunnel im Wald entdeckt

Einst nutzten ihn die US-Alliierten, dann grub ihn die NVA aus – die alte Röhre wurde jetzt gefunden.

Pasewalk/Berlin - Ein Loch fällt im Wald selten auf. Zum Glück war Werner Sobolewski ziemlich neugierig, als er gerade Brennholz suchte im Kirchenforst von Pasewalk. Er nahm seinen Handschuh, griff in die Öffnung in der Moosschicht – und stieß auf Metall.

„Ist das ein Schatz?“, fragte sich Sobolewski, ein früherer Zivilbeschäftigter bei der NVA und jetzt im Dienste der Bundeswehr stehender Mann. Doch dann schob er mit den Händen immer mehr Erde zur Seite „und machte eine unglaubliche Entdeckung“, erzählt er.

In der Erde lagen Teile eines Tunnels, die er das letzte Mal 1972 beim Bau der Eigenheimsiedlung für NVA-Beschäftigte gesehen hatte. Damals habe ein Offizier von einem Spionagetunnel zwischen West-Berlin und der DDR gesprochen, dessen Überbleibsel in einer Kaserne herumliegen. Die Geschichte von den Tunnelresten hat Sobolewski nicht vergessen. „Nach dem Fund im Wald setzte ich mich an den Computer und stieß auf viele Informationen über den von Amerikanern und Briten zwischen 1954 und 1955 gebauten Spionagetunnel“, sagte Finder. Doch ihn quälte eine entscheidende Frage: Wie sollten Teile davon ausgerechnet in den Wald im 140 Kilometer nördlich Berlins gelegenen Ort Pasewalk gelangt sein?

Vorsichtshalber rief er beim Alliiertenmuseum in Dahlem an, die sogleich Experten in die Stadt kurz hinter der Landesgrenze in Vorpommern schickten. Diese sprachen nach den ersten prüfenden Blicken am gestrigen Mittwoch von einer Sensation. „Anhand der Verschraubungen, Bolzen und Nieten konnten wir den vergrabenen Rest eindeutig als Teil des einst größten Spionagetunnels zwischen Rudow im Westen und Altglienicke im Osten identifizieren“, meinte Bernd von Kostka, als Historiker seit 1994 am Alliiertenmuseum an der Clayallee tätig. „Sofort stand der Beschluss fest, die gefundenen Elemente zu sichern und sie in der Ausstellung zu präsentieren.“

Das Museum zeigt bis jetzt nur Tunnelteile aus dem Westen, die 1997 und beim Autobahnbau 2005 gefunden worden waren. „Der begehbare und mannshohe Tunnel erstreckte sich aber über insgesamt 450 Meter, von denen 300 Meter auf östlichem Territorium lagen“, erzählte Museumschefin Gundula Bavendamm vom Museum, die am Mittwoch erstmals den Fundort besichtigte. Fast ein Jahr zapften der amerikanische und britische Geheimdienst die Telefonleitungen zwischen Ost-Berlin und dem sowjetischen Hauptquartier in Wünsdorf an. Allerdings hatte der KGB durch seinen englischen Topspion George Blake schon früh von dem Projekt erfahren. Die Russen ließen die Amerikaner und Briten aber gewähren, um Blake zu schützen. Erst im Sommer 1956 wurde die „Entdeckung“ verkündet und entsprechend propagandistisch ausgewertet.

„Im Museum können wir den Besuchern damit eine spannende Geschichte erzählen“, sagte Museumsleiterin Bavendamm. „Schließlich sind die Tunnelelemente in den USA hergestellt, getarnt durch die Sowjetische Besatzungszone transportiert, in West-Berlin als Teil einer angeblichen Radarstation gelagert und schließlich unterirdisch in den Osten geschoben worden.“ Der Fund im Wald habe sie völlig überrascht.

„Unser Kirchenforst war zu DDR-Zeiten ein großes Übungsgebiet“, erzählt Rainer Lemke vom Gemeindekirchenrat. „Überall gab es große Löcher, in denen sogar ganze Lkws verschwanden.“ Werner Sobolewski vermutet, dass die 1956 ausgegrabenen Tunnelteile zu Pioniereinheiten in der ganzen DDR geschickt wurden. „Vielleicht haben die Soldaten darin trainiert und sich die Kommandeure bei Übungen in solchen Unterständen aufgehalten. Jedenfalls besteht das sieben Meter lange Rohrteil aus bestem amerikanischen Stahl, der kaum Rostflecken aufweist.“ Nur die Dachpappe unter der gut 30 Zentimeter dicken Erdschicht stamme aus DDR-Produktion. Sie sei nutzlos.

Bei der Suche in der Umgebung stieß der noch immer in Pasewalk lebende Armeeangehörige in gut 150 Meter Entfernung vom ersten Fundort noch auf ein weiteres Tunnelelement. Wahrscheinlich gibt es hier noch viel mehr Teile. Doch die Land- und Manöverkarten der NVA helfen kaum weiter. Die Natur hat Wege und ehemals offene Flächen im Gelände in den vergangenen zwei Jahrzehnten verschwinden lassen. Eine systematische Erkundung des Waldgebietes würde mit hohen Kosten zu Buche schlagen.

Das Alliiertenmuseum wäre schon froh, wenn es in Kürze den zuerst entdeckten und teilweise freigelegten Tunnelabschnitt nach Berlin holen könnte. Der Gemeindekirchenrat will sich jedenfalls nicht dagegen sträuben. „Das ist ja ein Stück Kalter Krieg“, sagt Rainer Lemke. „Solche Funde müssen einfach für die Nachwelt gesichert werden.“

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