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Berlin: Spione müssen draußen bleiben

Ausgerechnet im Rathaus Schöneberg wollten Wolf und Großmann ein Stasi-Buch vorstellen

Es gibt nicht viele würdevolle Gebäude im guten alten West-Berlin. Das Rathaus Schöneberg ist eines davon. Wegen Ernst Reuter. Wegen John F. Kennedy. Wegen Willy Brandt. Wegen der Freiheitsglocke. Noch mal wegen Willy Brandt im Verbund mit Helmut Kohl und dem 10. November 1989: Wie sie die Notwendigkeit von Geduld und von Patriotismus in Worte fassten. So entsteht Würde.

Was Leuten wie Gert Julius missfällt. Julius ist Bezirksverordneter in Tempelhof- Schöneberg, ein Mann mit strengem Blick und noch strengeren Ansichten über die kapitalistischen Zustände in der Bundesrepublik. Als PDS-Bezirksverordneter ist er außerdem im leicht verbürgerlichten Berliner Südwesten ein prärevolutionärer Avantgardist.

Man versteht, dass er als solcher versucht, die Massen über die Zwänge ihres postkapitalistischen Daseins im Gefängnis des internationalen Finanzkapitals aufzuklären. Wahrscheinlich zu diesem Zweck beantragte Julius beim bezirklichen Gebäudemanagement einen Raum im Rathaus. Das ist es üblich, dort und in anderen Rathäusern: Die Parteien nutzen Räume für Diskussionen, Vorträge, Treffen. So wollte Julius am kommenden Freitag um 10 Uhr morgens den „Goldenen Saal“ des Rathauses belegen und den beiden früheren Kundschaftern des Friedens, Markus Wolf und Werner Großmann, die Gelegenheit verschaffen, ein paar öffentliche Worte über ein neues Buch zu verlieren.

Es heißt „Kundschafter im Westen“, handelt von Stasi-Spionen in der „BRD“ und deren Aufklärungsarbeit über den „gefährliche Imperialismus“, wie es in der Verlagsankündigung heißt. Ein großes Ziel, das Julius an einem spätkapitalistischen Sommermorgen mit dem Feingeist Wolf und dem robusten Großmann zusammenbringen sollte. Und hätte die Performance nicht genau den Effekt gehabt, den Verlagskaufleute und Stasi-Rentner als Mehrwert schätzen? Dröhnend lachend stimmt Lektor Frank Schumann zu: So mache man das doch heutzutage – man stelle auch Krimis im Knast vor. Den „Genius loci“ des Schöneberger Rathauses habe man „außerordentlich reizvoll“ gefunden, um gerade dieses Buch bekannt zu machen.

Daraus wird nichts. Baustadtrat Gerhard Lawrentz (CDU) hatte den Hinweis auf die durchaus kommerziell gemeinte Buchvorstellung bekommen. Brieflich entzog er Julius die Zusage, den Goldenen Saal zu nutzen, und erinnerte den PDS-Mann daran, das es nicht zulässig sei, jemandem in den Räumen des Rathauses einen geldwerten Vorteil zu verschaffen. Lektor Schumann sucht nun einen Buch-Vorstellungsort in Lichtenberg – auch dort sei der „Genius loci“ zu finden, meint er. Allerdings war es ein anderer Genius.

WernervanBebber

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