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Spitzel-Affäre: Kurras gab US-Geheimberichte an Stasi weiter

Neues Material der Birthler-Behörde beweist: Der Berliner Polizist Karl-Heinz Kurras war ein besonders fleißiger MfS-Spion. Immer wieder lieferte er Informationen über die West-Alliierten.

Als Agent hatte er Sinn für Qualität. Der West-Berliner Karl-Heinz Kurras hat dem Ost-Berliner Ministerium für Staatssicherheit Mitte der sechziger Jahre auch Material der West-Alliierten zukommen lassen. Für das MfS muss Kurras eine ausgezeichnete Quelle gewesen sein – das zeigen Papiere aus Kurras’ Akte, die die Stasi-Unterlagenbehörde jetzt veröffentlicht hat. Die Quelle versiegte erst am 2. Juni 1967, als Kurras in der Nähe der Deutschen Oper den Demonstranten Benno Ohnesorg in den Hinterkopf schoss und sich damit als Stasi-Agent unmöglich machte.

Informationen über die West-Alliierten hat Kurras dem MfS immer wieder geliefert. So finden sich in den Akten Adressen von konspirativen Wohnungen des amerikanischen Geheimdienstes. Besonders interessant dürften für die Stasi zwei Papiere vom Juni 1964 gewesen sein, die über Kurras an dessen einstigen Führungsoffizier Werner Eiserbeck gelangten.

Zusammen ergeben die Papiere ein „Handbuch des Ministeriums für Staatssicherheit“, wie Jochen Staadt vom Forschungsverbund SED-Staat sagt – gedacht für westliche Nachrichtendienste und die Polizei. Verfasst wurden sie von Mitarbeiter des „IRCD“. Das war die Interagency Refugee Coordination Detachment, zu Deutsch die alliierte Befragungsstelle in Köln für Überläufer aus sozialistischen Sicherheitsorganen. Die beiden Papiere sind umfangreich und präzise. Es waren offenbar nicht ganz wenige Überläufer, die der IRCD die Stasi erklärten. Die Geschichte des MfS, die frühen Führungspersönlichkeiten werden ebenso sachlich-genau beschrieben wie die Neuausrichtung der Behörde unter dem Minister für Staatssicherheit Erich Mielke. „Im Allgemeinen hat diese gesamte Entwicklung das MfS zu einem beachtenswerten Gegner gemacht, der aber als geheimer Nachrichtendienst nicht überschätzt werden sollte“, mussten die Stasi-Mitarbeiter über sich lesen.

Mit diesem IRCD-Handbuch der DDR-Staatssicherheit konnten westliche Nachrichtendienste oder Polizisten überprüfen, ob zutraf, was Informanten aus dem Osten über die Stasi sagten. Weitgehend genau waren die Zuständigkeiten des Datensammel-Molochs MfS beschrieben.

Dank Kurras wussten die Offiziere der Stasi genau, was der Westen über sie wusste. Möglicherweise war Kommissar Karl-Heinz Kurras, als er der Stasi die beiden Papiere verschaffte, schon Mitglied der Sonderermittlungsgruppe der West-Berliner Polizei, die nach Verrätern in den eigenen Reihen suchte. Dann aber fielen die beiden Schüsse, mit denen Kurras den wehrlosen Benno Ohnesorg umbrachte – und weil das MfS auch über die Anklageschrift verfügte, konnte sein Führungsoffizier davon ausgehen, dass Kurras kein ganz leichtes Verfahren vor sich hatte. Im Inhaltsverzeichnis eines Stasi-Aktenbandes heißt es über den vorher immer hochgelobten Agenten unter dem Stichwort „Belastungen“: „Mörder des Benno Ohnesorg“.

Kurras’ Führungsoffizier verfolgte sehr genau, was fortan im Westen über seinen Mitarbeiter geschrieben wurde. Nach allem, was bislang bekannt ist, endete Kurras’ IM-Karriere mit den tödlichen Schüssen. Die Stasi behielt ihn allerdings im Blick. Zu den nun veröffentlichen Akten gehört die Kopie eines Artikels mit der Überschrift: „Ohnesorg-Mörder als Sittenstrolch festgenommen“. „Kurras hatte sich auf einer Parkbank einem neunjährigen Mädchen unsittlich genähert“, berichtete die Nachrichtenagentur ADN im August 1971. Die nächste Meldung in der Akte ist vom Juni 1978: „Mörder von Benno Ohnesorg ist jetzt Oberkommissar“.

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