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Christoph Meyer wünscht sich für Berlin das Leitbild einer prosperierenden Stadt, einer Stadt des Wandels und der Dynamik.

© Thilo Rückeis

Spitzenkandidaten antworten Roger Boyes: "Der Duft der Freiheit ist noch da"

Mehltau hat sich über die Stadt gelegt, sagt Christoph Meyer. Jetzt muss sie den Spaß am Risiko wieder neu entdecken.

Von Christoph Meyer, dpa

„Times“-Korrespondent und Tagesspiegel-Kolumnist Roger Boyes hat Anfang Juli mit einem Essay von Berlin Abschied genommen und ist mit der Stadt hart ins Gericht gegangen: Unter der Überschrift „Wie Berlin uns alle betrügt“ kritisierte Boyes Berlin als Stadt, die von der „Schlafkrankheit“ befallen sei und sich wieder stärker öffnen müsse. Nachdem mehrere andere ausländische Berlin-Korrespondenten ihre Sicht auf die deutsche Hauptstadt geschildert haben, ergreifen jetzt Berlins Spitzenkandidaten für die Wahl des Abgeordnetenhauses das Wort. Den Anfang hat in dieser Woche CDU-Landeschef Frank Henkel gemacht, ihm folgte Grünen-Spitzenkandidatin Renate Künast. Heute schaltet sich der FDP-Landeschef Christoph Meyer in die Diskussion ein. Klaus Wowereit (SPD) und Harald Wolf (Linke) wollen sich bislang nicht an der Debatte beteiligen.

Roger Boyes verlässt Berlin und zieht eine harte Bilanz. Er diagnostiziert der Stadt die Schlafkrankheit. Ich empfinde dieses Urteil für meine Heimatstadt als zu hart. Boyes macht einen Fehler: Er setzt die politische Führung der Stadt mit ihr selbst gleich. Das ist ungerecht und kein Berliner hat es verdient, zumal auch eine ganze Menge von uns unter den Zuständen leiden. Das „Erweckungserlebnis“, von dem er spricht, ist dann auch ungenau: Das mieterfreundliche, deutsche Mietrecht gilt eben nicht nur in Berlin. Allerdings stellt sich die Frage, warum in Berlin Linke, Grüne, SPD und CDU auf diese bestehenden Regeln noch weitere Gesetzen und Reglementierungen „draufsatteln“ wollen, statt ehrlicherweise die Entwicklung steigender Mieten zu verstehen und marktwirtschaftlich steuernd zu begleiten.

Boyes gibt hier die richtige Antwort: die Bereitschaft, sich auf Wandel, Veränderung und Dynamik einzulassen, ist in der Berliner Politik nicht ausgeprägt. Wir erleben teils hysterisch anmutende Debatten über Kernforschungsreaktoren, Autobahnen oder Flughäfen. Der Status quo – und sei er noch so niedrig angesetzt – wird quer durch die politische Landschaft idealisiert.

Aber wer trägt die Verantwortung dafür, dass die Politik immer dann, wenn sich in Berlin etwas verändert mit dem Schüren von Ängsten reagiert?

Erstaunlicherweise ist die politische Meinung selbst oftmals das Bindemittel, der Klebstoff, der individuelle, teils berechtigte, Ängste vor Veränderungen verallgemeinert. Politische Meinungsführer lassen sich als Bewahrer des Status quo feiern und präsentieren sich stolz als Aufwiegler. Dieser Weg führt hin zu Provinzialität und Intoleranz gegenüber Neuem und anderen Lebensstilen. Diesen Weg bin ich nicht bereit mitzugehen: Aus Veränderungen resultieren nicht nur Risiken, sondern eben auch Chancen für den Einzelnen, aber auch für die gesamte Stadt. Darum ist es Aufgabe der Meinungsträger in Berlin, Veränderungen zu wollen und diese auch zu erklären!

Auch wenn ich die Kritik am rot-roten Senat uneingeschränkt teile, kann man dennoch fast froh sein, dass Herr Wowereit zumindest in Wahlkampfzeiten versucht, sich als weltoffen und wirtschaftskompetent zu inszenieren. Damit grenzt er sich wohltuend von den Grünen ab, die ihre Rolle als moralingeschwängerte Brandbeschleuniger in der Stadtpolitik perfektioniert haben.

Lesen Sie auf Seite 2, warum Christoph Meyer die Grünen kritisiert.

Christoph Meyer, FDP-Spitzenkandidat für Berlin
Christoph Meyer, FDP-Spitzenkandidat für Berlin

© Doris Spiekermann-Klaas

Sie profitieren von einer Art modernem Ablasshandel nach dem Motto „Wähle Grün und Deine Alltagssünden/persönliche CO2-Bilanz sei Dir vergeben!“ Die Grünen geben denen eine Bühne, die Ängste vor Touristen schüren oder denen, die Bürgerinitiativen mit unrealistischen Erwartungen aufhetzen (z.B. bei Thema Ku’damm-Bühnen), ohne dass sie die immer höheren Erwartungen je erfüllen könnten (ähnlich wie bei Stuttgart 21). Es war deren innenpolitische Sprecher, der Brandanschläge auf Autos als „Konjunkturprogramm für die deutsche Autoindustrie“ verniedlichte. Es waren die Grünen, die in dieser Legislaturperiode nur einer Handvoll von neuen Bebauungsplänen zugestimmt haben, ihr Fraktionsvorsitzender antwortete auf die Frage, welchen Neubau er sich in Berlin wünsche ein Fahrradparkhaus am Alexanderplatz.

Und dann haben wir da noch die CDU, die aus eigener Mittelmäßigkeit den Grünen in ihren Inhalten hinterher dackelt, jüngst mit der Forderung nach einem totalen Nachtflugverbot für den neuen Großflughafen BBI, bis irgendjemand sie daran erinnerte, dass sie einmal für eine marktwirtschaftliche Ordnung gestanden hat und auch Berliner abends gern mit internationalen Flügen nach Hause kommen wollen.

Vergegenwärtigt man sich nur diese Beispiele, wird klar, dass das Bild von der Schlafkrankheit nicht zutrifft. Vielmehr liegt die Veränderungsfeindlichkeit und Lebensstil-Intoleranz wie Mehltau auf den Potenzialen unserer Stadt. Boyes weist zu Recht darauf hin, dass dies nicht immer so war. Früher hat eine liberal geführte Stadtverwaltung die Grundlagen der Entwicklung Berlins zur Weltstadt gelegt. Die von Boyes beschriebene Gesellschaft von Philanthropen und Mäzenaten war damals breite gesellschaftliche Realität und auch Ausdruck des Bürgerstolzes. In Zeiten der Teilung war der Westteil Berlins das Schaufenster der freien Welt. Die Bedeutung, der Einfluss Berlins war durch die Rolle im Konflikt zwischen Ost und West ungleich größer. Nach der Wiedervereinigung glaubten manche, die alte Bedeutung würde schon von alleine wiederkommen. Heute ruhen sich diese Personen auf der momentanen Anziehungskraft der Stadt aus! Dabei wird schnell vergessen, wie flüchtig dieser Glanz sein kann. Und hier muss die Politik ansetzen.

Berlin war immer schon eine raue Stadt. Gerade das macht einen Teil ihres Charmes aus. Der Duft der Freiheit, den jeder spürte, der wieder zurück in die noch geteilte Stadt kam, er ist immer noch da! Er kann die Grundlage für ein offenes, zukunftsgewandtes Berlin sein. Ein Berlin, in dem Chance und Risiko positiv belegt sind. Berlin benötigt ein Leitbild. Und das kann nicht Stillstand, sondern nur das Bild einer prosperierenden Stadt, einer Stadt des Wandels und der Dynamik sein. Die Politik muss die Freiräume für Entscheidungen der Bürger schaffen und bewahren. Das gelingt aber nur, wenn Politik und Verwaltung den Mut haben, in die Leistungen und die Initiative des Einzelnen zu vertrauen.

Die Berliner Politik muss Freiheit und Selbstverantwortung zulassen. Sie muss den Wettbewerb um die besten Ideen fördern und Leistungs-, und Startchancengerechtigkeit zu Grundprinzipen ihrer Entscheidungen machen. Sie muss verstehen, dass sie nicht in erster Linie eine gleichmachende Umverteilungspolitik betreiben darf, sondern Veränderungen zulassen muss, auch wenn Dynamik dann Ungleichheit schafft. Denn durch diese Ungleichheit und fairen Wettbewerb wird Berlin sich vom „weiter so“ lösen und eine neue Blüte erleben. Diesen Anspruch hat in Berlin nur die FDP.

Roger Boyes geht. Berlin hat mehr Freunde nötig, die ihre Kritik so deutlich formulieren.

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