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Spreepark-Chefin: Achterbahn durchs Leben

Während die Fahrgeschäfte im Plänterwald vor sich hinrosten, will Pia Witte, Ex-Frau eines schillernden Rummelbetreibers, mit dem Kapitel Spreepark abschließen – wenn sie es denn könnte.

Mit Fallhöhen kennt sich Pia Witte aus. Deshalb sollte man ihren Rat beherzigen: „Treten Sie nur auf die dicken Holzbohlen, die anderen können durchbrechen.“ Die Spreepark-Chefin wirkt elegant, sogar beim Überqueren der maroden Brücke zur Achterbahn „Spreeblitz“. Es braucht mehr als morsche Balken vier Meter über dem Boden, um sie zu verunsichern. Dabei könnte die Frau erzählen von ihrem Abstieg von der Galabesucherin zur Sozialhilfeempfängerin oder über Peru, als sie mit ihren fünf Kindern auf sich gestellt war.

Doch Pia Witte spricht über heute: darüber, dass sie wieder arbeitet, als Angestellte mit einem Imbisswagen über Floh- und Wochenmärkte tourt, über Gläubigerbanken und die Zukunft des Parks. Die Idee der Grünen, das Gelände zu renaturieren, hält sie für lächerlich. „Da stand schon früher ein Freizeitpark, kein Urwald.“ Außerdem solle der Park allen Berlinern zugänglich sein, so wie beim „Lunapark“-Projekt des HAU-Theaters Ende Mai. Es gab Konzerte, Führungen, Performances und Pia Witte stand mit ihrem Imbisswagen fast unerkannt im Park. Nur selten hat sie sich bisher zu Wort gemeldet, oft genug, sagt sie, wurden aus ihrer Geschichte Räuberpistolen gemacht. Sie fürchtet die Eloquenz ihres Ex-Mannes, der könne jeden um den Finger wickeln. Nur nichts Unbedachtes äußern, dieser Druck ist ihr anzumerken. Den Ex-Mann, der nur wenige Meter von hier im Wohnwagen lebt, will sie mit einer Räumungsklage aus dem Park werfen und wieder ihren Mädchennamen annehmen – wenn Geld dafür da ist.

Das Interesse an dem Gelände ist groß. Regisseure, Theater, Konzertveranstalter sind begeistert von der Untergangskulisse aus umgestürzten Plastikdinos und rostenden Karussells. Doch der Zerfall des Parks spiegelt auch den einer Familie wider. Pia Witte wird still, als sie neben den verwitternden gelben Achterbahnwagen steht, die am Abend des 4. November 2001 zum letzten Mal mit Fahrgästen über die Gleise geschossen waren. Es sei schmerzhaft für sie, hierherzukommen. Sie will das Kapitel Spreepark endlich abschließen.

Pia Wittes Leben ist von Beginn an „mit dem Park verstrickt“. Ende der 50er Jahre wird sie in eine Hannoveraner Schaustellerfamilie geboren. Ihr Vater ist befreundet mit Schaustellern auf dem einzigen „ständigen Rummel“ der DDR, dem VEB Kulturpark im Plänterwald. In der Schaustellerwelt kennt man sich und macht Geschäfte, ungeachtet aller Grenzen. Als 19-Jährige heiratet Pia den Schausteller Norbert Witte. Die Familie gastiert in ganz Deutschland, mehrmals auch im Plänterwald. Als der Senat nach der Wende einen Parkbetreiber sucht, meldet sich Witte. Und weil der Größenwahn, den es braucht, um den „Kulti“ in einen Riesenfreizeitpark zu verwandeln, bei den Regierenden seine Entsprechung findet und Wittes Kontakte in die CDU exzellent sind, erhält er den Zuschlag. Witte ist nach dem größten Kirmesunglück der bundesdeutschen Geschichte vorbestraft. Sieben Menschen waren gestorben, als 1981 das Karussell Skylab auf dem Hamburger Dom mit seinem Wartungskran kollidierte. Also wird ein Freund der Familie Geschäftsführer, Pia Witte unterzeichnet als Chefin der Gastronomie.

Fünf Kinder hat sie da schon zur Welt gebracht. Die Zwillinge sind eineinhalb Jahre alt, als die Familie in den Spreepark zieht. Geschäftliche Entscheidungen und Pläne, das sei Norbert Wittes Bereich gewesen. Sie habe einfach unterschrieben. „Ich habe ihm da blind vertraut“, sagt Pia Witte heute. Das hört sich nicht entschuldigend an, eher wie eine Selbstanklage. Der Park zieht immer weniger Besucher an, es fehlt an Parkplätzen, weil die genehmigte Zahl viel zu gering ist. 2001 bleibt nur die Insolvenz. Nach dem Ende des Verfahrens 2008 geht das Erbbaurecht zurück an Pia Witte. Wer den Spreepark heute kaufen will, braucht ihre Unterschrift – und Geld: 15 Millionen Euro schulden die Wittes der Bank, plus Grundsteuer und Erbbauzins sind das an die 20 Millionen. Für die Sicherung von Park und Uferweg muss derzeit Pia Witte aufkommen. Das Geld aus Führungen und Veranstaltungen geht an die Sicherheitsfirma, die auf das Gelände aufpasst. Sie habe für sich nichts von einem Investor zu erwarten, sagt sie und glaubt, dass die Bank jetzt zu einem Kompromiss mit Investoren bereit ist. Von denen gab es viele: eine Stuttgarter Schaustellerfamilie, das Tivoli aus Dänemark, ein französischer Freizeitparkbetreiber, zuletzt hätte eine Firma fast schon damit begonnen, Inkatempel und ägyptische Pyramiden aufzubauen. „Investoren, Bezirk, Liegenschaftsfonds, Banken: Alle müssen sich an einen Tisch setzen und Kompromisse eingehen“, sagt Pia Witte. Abschließen. Das muss doch möglich sein.

Die schwerste Zeit der Pia Witte beginnt mit der Idee ihres Mannes, in Peru neu anzufangen. Als 2003 auch der Rummelplatz in Lima, aufgebaut aus Fahrgeschäften des Spreeparks, bankrottgeht, lässt sich Vater Witte als Drogenkurier anwerben. Er wird in Berlin verhaftet, bekommt vier Jahre, Sohn Marcel, damals 21, muss in Lima ins Gefängnis – für 20 Jahre. Es ist das Ende der Ehe. Pia Witte, zurück in Berlin, verarmt zusehends und zieht sich aus der Öffentlichkeit zurück, sie leidet unter Depressionen. „Für mich ist der Junge da unschuldig drin“, an diesem Satz hält sie sich trotzig fest. Seitdem dreht sich der größte Teil von Pia Wittes Leben um die acht Quadratmeter im Gefängnis von Lima, um Geld für einen Besuch und für Anwälte. Sie kämpft für eine Auslieferung des Sohnes, obwohl es kein Abkommen mit Peru gibt. „Wenn ich auf dem Flohmarkt arbeite und mein Kind ruft heulend an und weiß nicht weiter, weil er die Zelle nicht verlassen kann – wie kann ich da an mich denken?“

Doch es gibt auch wieder einen anderen Teil der Pia Witte. „Meine Töchter haben gesagt: Mama, du musst vor die Tür gehen.“ Das hat sie getan. „Sonst wäre ich kaputtgegangen.“ Wenn der Spreepark verkauft sei, beginne für sie ein neuer Lebensabschnitt. „Es ist zwar spät, sich selbst zu verwirklichen, aber besser als nie, oder?“ Gern würde sie gemeinsam mit den Töchtern einen Biergarten eröffnen, jedenfalls nichts mehr mit Karussells. „Vom Karussellfahren wird mir übel.“

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