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Berlin: Spuren weisen nach Berlin

Die  Gotteskrieger im Dunstkreis der Al Qaida verfügen über ein Kontaktnetz in der Stadt. Unklar ist, ob eine eigenständige Zelle existiert

Von Barbara Junge

Der Weg zur Moschee führt in einem Betonklotz am Kottbusser Tor über zwei schmutzige Treppenabsätze nach oben. Der Verkehrslärm der Skalitzer Straße dröhnt nur gedämpft hier herauf. Das grün bemalte Glas der Rotunde gewährt keinen Einblick in das Gotteshaus „Mevlana Camii“. Doch das rege Treiben – rechts geht es zur Frauenarztpraxis, links herum hat ein Bildungsverein seine Räume – vermittelt eines nicht: Abgeschiedenheit. Wenn am Freitag zum Gebet gerufen wird, versammeln sich hier in der Moschee der Islamischen Föderation Männer zum Gebet. Nur einer, der im Frühjahr 2001 regelmäßig da war, kommt nicht mehr. Mohamed Bensakhria alias „Meliani“ wurde im Juni 2001 in der spanischen Hafenstadt Alicante festgenommen.

„Meliani“ gehört zu den Menschen, die seit dem 11. September 2001 ganz oben auf den Fahndungslisten stehen: Islamisten des Al-Qaida-Netzwerkes, Gotteskrieger, die in Afghanistan für den „Heiligen Krieg“ ausgebildet wurden. Dem Algerier, der bereits 1990 über Berlin in die Bundesrepublik einreiste, wird vorgeworfen, gemeinsam mit anderen am Jahreswechsel 2000 / 2001 einen Anschlag im französischen Straßburg vorbereitet zu haben. Doch während seine Zelle aufflog, tauchte „Meliani“ in der Anonymität der Großstadt Berlin unter. Unterstützt von einem offenbar über Jahre aufgebauten Netzwerk vor allem algerischer Fundamentalisten pendelte der 36-Jährige zwischen konspirativen Wohnungen in der Weddinger Bornemann- und Soldiner Straße und der Neuköllner Sonnenallee.

Freitags, so viel war „Meliani“ Allah schuldig, gab es eine feste Anlaufadresse: Die Moschee am Kottbusser Tor. Dort aber legt man Wert darauf, ein Gebetshaus zu sein – nicht mehr. Ein Vertreter sagte: „Es gab keine Anzeichen dafür, dass solche Leute sich bei uns treffen.“ Anderenfalls schreite man ein und schließe die Leute aus. „Aber so etwas kann man ja äußerlich nicht erkennen.“

Die Moschee war sicher nur einer von vielen Treffpunkten der Gotteskrieger. In den vergangenen Monaten haben die Behörden etwa ein Dutzend konspirativer Wohnungen in Berlin gefunden oder durchsucht. Zunächst im Meliani-Verfahren. Auch bei einer zweiten islamistischen Zelle in Deutschland, der Al Tawhid, führt eine Spur nach Berlin. Und in einem dritten Komplex, in dem die Generalbundesanwaltschaft seit dem Frühjahr ermittelt, suchen die Fahnder nach einem in Berlin untergetauchten algerischen Dschihad-Anhänger. Die Erkenntnisse stellen die Sicherheitsbehörden vor schwierige Fragen. Die Experten vom Bundeskriminalamt sind nicht sicher, wie sie die inzwischen sichtbar gewordenen Teile islamistischer Strukturen in Berlin bewerten sollen.

Verfügen die Extremisten aus dem Dunstkreis der Al Qaida in Berlin lediglich über eine ausgefeilte Logistik mit einer gut ausgebildeten Unterstützerszene? Oder existiert in der Hauptstadt eine eigene Zelle im islamistischen Netzwerk? Die Chefin des Berliner Verfassungsschutzes, Claudia Schmid, kann die Frage nicht abschließend beantworten. „Zellen von Mujahedin gibt es vermutlich weltweit“, sagt Schmid, „aller Wahrscheinlichkeit nach auch in Deutschland“. Angesichts der bestehenden „abstrakten Gefährdungslage“ müsse man die Möglichkeit auch für Berlin in Betracht ziehen. Unter anderem deshalb, weil im Meliani-Komplex „Kontakte nach Berlin erkennbar geworden sind“.

Anders als in Hamburg oder vergangene Woche in Heidelberg sind in der Hauptstadt bislang offenbar keine Anschläge vorbereitet worden. „Wir haben keinerlei Hinweise auf Anschlagsplanungen“, beantwortet Innensenator Ehrhart Körting (SPD) die Frage nach aktiven Zellen in der Stadt. Verfassungsschutzchefin Schmid trifft dieselbe Aussage und meint: „Kein Grund zur Panik“. Doch als die Bundesanwaltschaft Ende April in einer Razzia gegen das Terror-Netzwerk Al Tawhid bundesweit 19 Häuser oder Wohnungen durchsuchen ließ, erklärte Generalbundesanwalt Kay Nehm, die Islamisten hätten begonnen, Anschläge zu planen.

Die Fahnder rückten auch in Berlin an. Die Privaträume und eine Autowerkstatt des Jordaniers Raed K. in der Rheinsberger Straße und der Schwedter Straße wurden durchsucht. K., der in abgehörten Gesprächen konspirativ von grauen Heftchen, braunen Heftchen oder Ware sprach – und damit mutmaßlich über gefälschte Pässe verhandelte – kann kein kleines Licht sein, vermuten die Ermittler. Denn der Anführer der Gruppe in Deutschland, bekannt unter seinem Kampfn „Abu Ali“, habe stets ausgesucht höflich mit dem gerade mal 30-Jährigen gesprochen. Auch für Al Tawhid war Berlin offensichtlich ein Bewegungs- und Aktionsraum. Ein weiteres Mitglied der Gruppe hat sich oft in Berlin aufgehalten. Der Mann mit dem Kampfnamen „Noor“ gilt den Ermittlern als besonders heiß – er soll bis Ende vergangenen Jahres in Afghanistan für die Al-Qaida gekämpft haben, bis er sich nach Deutschland absetzte. Den Kampf führte er hier wohl unmittelbar fort – wenn auch erstmal bloß als Kampf mit Pässen für flüchtige Kämpfer. Schon 1995 war „Noor“ der Polizei in Berlin aufgefallen, allerdings nur wegen Diebstahls und eines Betäubungsmitteldeliktes. 1996 wohnte er auch für ein halbes Jahr hier. „Abu Ali“, der Logistiker der Al Tawhid in Deutschland, hatte seine Basis zwar im Ruhrgebiet. Doch er pflegte in einem sensiblen Bereich Kontakte nach Berlin – zu Waffenhändlern.

Noch ist das Problem der Zellen nicht gelöst. Wie die Bundesanwaltschaft bestätigte, stehen noch andere Kämpfer für den Dschihad auf der Fahndungsliste. Der in Berlin untergetauchte Algerier – wie die anderen in Afghanistan militärisch wie ideologisch geschult – ist vor den Anschlägen vom 11. September in die Bundesrepublik zurückgekehrt und hat sich in Berlin niedergelassen. Kontakte zu der Frankfurter Zelle, die die Ermittler aufgespürt haben, legen nahe, dass der 36-Jährige mit seinen Gesinnungsgenossen in vier konspirativen Wohnungen in Berlin nicht nur mit dem Studium des Koran beschäftigt war.

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