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Berlin: Stadt und Anwohner im Zentrum plädieren für die Nordvariante, doch Falkenhöher, Landwirte und Umweltschützer sind gegen die Trasse

Wie eine Streitmacht belagern sechs Traktoren am Mittwochabend den Rathauseingang in Falkensee. "Wir müssen uns für jeden Koppelzaun eine Baugenehmigung holen, und Ihr wollt über uns hinweg eine Ortsumgehung bauen", meckert einer der Landwirte.

Wie eine Streitmacht belagern sechs Traktoren am Mittwochabend den Rathauseingang in Falkensee. "Wir müssen uns für jeden Koppelzaun eine Baugenehmigung holen, und Ihr wollt über uns hinweg eine Ortsumgehung bauen", meckert einer der Landwirte. Eine dreiviertel Million Mark Kredit habe er für eine neue Reithalle aufgenommen. Der Reittourismus gehe "den Bach runter", wenn eine Landesstraße die Landschaft am Eiskeller und im Krämer Forst durchtrennt. "Und dann sind meine Investitionen flöten." Bürgermeister Jürgen Bigalke (SPD) stellt sich dem Protest. Eine Spur Verlegenheit mischt sich in seinen Gesichtsausdruck. "Dass Flurstücke zerschnitten werden, ist ein Argument dagegen. Aber wir vertrauen den Verkehrsplanern. Und die sagen, dass Falkensee durch die Umgehungsstraße entlastet wird."

Das 31 000-Einwohner-Städtchen bei Spandau, das sich selbst als "Tor zum Havelland" bezeichnet, ist gespalten. Ursache ist das Raumordnungsverfahren für eine Nordumfahrung von Falkensee, die das Verkehrsdebakel am alten Dorfanger beenden soll: Dort kreuzen sich die Landesstraßen L 20 und L 201. Berliner fahren durch Falkensee zur Autobahn A 10. Und für die Potsdamer liegt die Stadt auf der Strecke nach Oranienburg.

Das brandenburgische Straßenbauamt ist der Auffassung, das Verkehrschaos durch die Nordumfahrung beenden zu können. Doch die würde durch den ruhigen Ortsteil Falkenhöh führen. Die geplante Straßenführung durchtrennt zwei Landschaftsschutzgebiete, die nach Meinung von Umweltschützern eine "übergeordnete Grünverbindung" nach den europäischen Flora-Fauna-Habitat-Richtlinien darstellt. Im Ort haben sich zwei Fraktionen gebildet. Die Befürworter sind vor allem rund 1000 Bewohner der betroffenen Straßen sowie Händler und Gewerbetreibende im Stadtzentrum. Auf der Gegenseite befinden sich Bewohner des ruhigen Ortsteils Falkenhöh, Umweltfreunde aus Berlin, das Bezirksamt Spandau und eine Gruppe von 14 betroffenen Bauern. Die Falkenseer Kommunalpolitiker haben sich mehrheitlich auf die Seite der Befürworter geschlagen, aber zum Teil recht halbherzig. In der Stadtverordnetenversammlung, die während der Traktorendemonstration am Mittwochabend beginnt, fordert Stadtverordneter Jürgen Plückmann (SPD) die geheime Abstimmung, als es um das Votum für die Umgehungsstraße geht. Die Auslegung der Planungsunterlagen erfolgte in den Sommerferien, 350 negative Stellungnahmen wurden abgegeben. "Da muss man ja um seine Unversehrtheit fürchten", sagt der SPD-Mann. Doch sein Antrag wird abgebügelt, statt dessen gibt es eine namentliche Abstimmung. Plückmann sagt trotzdem "Ja" zur Umgehungsstraße, und die Mehrheit der Stadtverordneten tut es ihm gleich. Damit sind die Weichen für ein Planfeststellungsverfahren gestellt. "Wenn niemand klagt, könnte die Straße 2005 fertig sein", sagt Baudezernent Peter Zimmermann.

Ein Wunschdenken? Die "Bürgerinitiative Schönes Falkensee", die vor der Stadtverordnetenversammling 756 Unterschriften von Umfahrungsgegnern überreichte, hat sich bereits bei einem Anwalt erkundigt und ist "zu allem bereit", sagt Vorsitzender Günter Chodzinski. Er traut den Zahlen aus Potsdam nicht, wonach die neue Straße den Falkenseer Verkehr um 15 000 Fahrzeuge pro Tag entlasten soll. Im Gegenteil, die Ortsumfahrung würde den überregionalen Verkehr bündeln und vermehren. "Wir haben 80 Prozent Anliegerverkehr in Falkensee. Die Stadt sollte sich vor weiteren Planungen erstmal darum kümmern, die chaotischen Verkehrsströme im Ort neu zu ordnen", argumentiert er.

Chodzinski schlägt alternativ eine "kleine Ortsumfahrung" innerhalb der Stadt vor, die auch vom Bezirksamt Spandau favorisiert wird. "Die große Umfahrung führt zu einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung der Landschaft, wenn man den minimalen Effekt bedenkt", so Spandaus Stadtplanungsamtsleiter Walter Göllner.

Doch während die 16 Millionen Mark teure Nordumfahrung auf Landeskosten ginge, würden innerstädtische Varianten zu Lasten des Stadtsäckels gehen. Und ganz ohne Umfahrung - so die offiziellen Berechnungen - würde allein das Verkehrsaufkommen auf der L 201 von jetzt 14 000 auf mehr als 21 000 Fahrzeuge pro Tag wachsen. Für Falkensees Baudezernent Peter Zimmermann ist die Sache klar: "Wenn wir das Zentrum für Handel und Gewerbetreibende attraktiver machen wollen, brauchen wir die Nordumfahrung."

Das glaubt auch Norbert Ullrich, Anwohner der Schönwalder Straße im Stadtzentrum und Mitglied der Initiative "pro Ortsumfahrung". Für die Anlieger der neuen Ortsumgehung seien Lärmschutzwälle möglich, für die Anwohner im Zentrum gebe es dafür keinen Platz. Die Alleebäume im Falkenseer Zentrum seien nicht weniger schützenswert als die von der Nordumfahrung betroffenen Waldstücke. Zumal der längste Streckenabschnitt am ehemaligen Grenzstreifen entlang führt - und da gebe es sowieso keine schützenswerte Natur mehr.

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