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Veränderung unerwünscht. Der Senat will den Wohnungsbau fördern, auch auf dem Tempelhofer Feld. Anrainer lehnen das ab – obwohl viele von ihnen über steigende Mieten klagen.

© Doris Spiekermann-Klaas

Stadtentwicklung: "Senat hat zu viele Großprojekte auf dem Zettel"

Zentralbibliothek, Wohnungsprogramm, ICC-Sanierung: Berlin mute sich zu viele Bauvorhaben zu, meinen Grüne und Linke. Stadtentwicklungssenator Müller widerspricht.

Vor mehreren hundert Berliner Unternehmern hat Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) am Montag die Bedeutung einiger Großprojekte des Senats bekräftigt – darunter die Sanierung des Internationalen Congress Centrums (ICC) in Charlottenburg. Angesichts der stetig wachsenden Zahl von Kongressen in der Stadt „brauchen wir die Kapazitäten des ICC“, sagte Müller beim „wirtschaftspolitischen Frühstück“ der Industrie- und Handelskammer (IHK).

Die Erneuerung des 33 Jahre alten Kongresszentrums werde „200 Millionen Euro oder etwas mehr“ kosten, wenn Bereiche wie das Parkhaus, das Restaurant oder die Brücke zum Messegelände ausgespart blieben, sagte Müller. „Gemessen an anderen Bauvorhaben ist das keine absurde Summe“. So betrügen die Kosten bei der Sanierung der Staatsoper Unter den Linden oder der abgeschlossenen Modernisierung des Olympiastadions je rund 240 Millionen Euro. Ein Abriss des ICC wäre mit Kosten von mindestens 180 Millionen Euro nicht viel billiger als die Sanierung, rechnete Müller vor. Seine Schätzung beruhe auf einer Hochrechnung der Kosten, die beim Abriss des kleineren Palastes des Republik angefallen seien.

Bei der Gestaltung großer Freiflächen wie dem ehemaligen Flughafen Tempelhof sei die Einbeziehung der Bürger sehr wichtig, betonte Müller. Das Volksbegehren gegen das Nachnutzungskonzept des Senats gehe aber in die falsche Richtung: Das Gelände sei „zu wertvoll, um dort gar nichts zu machen“.

Der Neubau der Zentral- und Landesbibliothek (ZLB), zwei verlassene Flugfelder mitten in der Stadt, die Internationale Bauausstellung und natürlich die Bekämpfung der Wohnungsnot – über einen Mangel an Aufgaben kann sich die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung nicht beklagen. Eher noch stellt sich die Frage, ob die Knappheit der Finanzmittel wegen der Schuldenbremse das Land nicht dazu zwingt, Prioritäten zu setzen und einen Teil der Baustellen liegen zu lassen – mit gravierenden Folgen für das Land.

Sehen Sie in den Bildern: wie der Flughafen in Tempelhof sich veränderte

Das jedenfalls befürchten Stadtentwicklungsexperten der Opposition. Sie diskutierten die „Rot-Schwarze Stadtentwicklungspolitik“ mit dem Staatssekretär aus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Ephraim Gothe (SPD) vergangene Woche in der Technischen Universität. Unter der Moderation des Leitenden Redakteurs des Tagesspiegels, Gerd Nowakowski bildete sich eine kampfeslustige Spontankoalition aus Linken und Grünen: Es habe sich „viel Ärger, Angst und Frust in den Quartieren aufgestaut über die Politik“, sagte Antje Kapek (Grüne). Es sei deshalb an der Zeit, „mehr Partizipation“ von Bürgern an Planungsprozessen sicher zu stellen, sekundierte die ehemalige Umweltsenatorin Katrin Lompscher (Linke). Vielleicht müsse sogar ein „Stadtforum 3.0“ auf den Weg gebracht werden.

Unter dem Namen hatte es schon einmal einen öffentlichen Debattierclub gegeben. Der damalige Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer (CDU) hatte das viel gelobte Gremium in den Nachwendejahren eingerichtet, um des Baubooms Herr zu werden. „Es wird ein solches Format geben“, versicherte Staatssekretär Gothe. Die Kunst bestehe jedoch darin, die vielen Bau- und Planungsaufgaben in „verschiedenen Formaten auf einem gemeinsamen Sender“ zu bringen. Gothe erinnerte an den Koalitionsvertrag, in dem SPD und CDU vereinbart haben, dass künftig im Internet alle Planungsschritte von Bauaufgaben veröffentlicht werden sollen. Bisher steht es schlecht um diese Partizipation und zwar ausgerechnet bei dem Prestigeprojekt der Koalition, das einen großen Teil der verfügbaren Gelder in der Stadtplanung verschlingt: dem Neubau der Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) auf dem Tempelhofer Feld. 

„Nicht ein einziger Alternativstandort wurde ernsthaft überprüft“, sagte Kapek – „nur weil sich Klaus Wowereit eine Pyramide bauen will“. Nicht einmal korrekt eingepreist sei das Lieblingsprojekt des Regierenden Bürgermeisters, so Lompscher: Experten hätten errechnet, dass die ZLB niemals für 300 Millionen Euro zu realisieren sei – und „entweder den Raumanspruch halbiert oder der Kostenrahmen verdoppelt werden muss“. Ohnehin habe der Senat mit der Sanierung des ICC und der Verlängerung der A 100 „zu viel auf dem Zettel“, und sollte dies Projekte deshalb ersatzlos streichen, forderte Lompscher.

Dass die ZLB das „Lieblingsprojekt des Regierenden Bürgermeisters ist, damit habe ich mich abgefunden“, sagte Stefan Evers, stadtentwicklungspolitischer Sprecher der CDU. Gothe umging das Reizthema, machte aber deutlich, dass der „Stadtentwicklungsplan Wohnen“ zur Bekämpfung der Wohnungsnot „besondere Priorität“ habe. Ebenfalls auf der Agenda der Verwaltung stehe in diesem Jahr die „Programmierung der IBA“ und die Leitlinien für die Gesamtentwicklung Berlins im „Stadtentwicklungskonzept 2030“.

Die Opposition legte geschickt den Finger in die Wunde, indem sie die Bezahlbarkeit auch der angekündigten neuen Wohnungspolitik infrage stellte, mit der die Landesregierung dem „verschleppten, verleugneten Problem“ des Wohnungsmangels (Pirat Wolfram Prieß) beikommen will. Gothe räumte ein, dass man die „100 Millionen Euro im Jahr“ nicht aufbringen könne, mit denen etwa Hamburg die Mieten eines Teils der Wohnungen in Neubauten auf Preise von sechs und gut acht Euro je Quadratmeter und Monat heruntersubventioniert.

Der Berliner Senat werde stattdessen zur Entspannung des Wohnungsmarktes die Förderprogramme der landeseigenen Investitionsbank im Wohnungsbau neu ausrichten, so Gothe. Dasselbe gelte für die Liegenschaftspolitk, also die preisreduzierte oder gar kostenlose Vergabe landeseigenen Baulandes, preisgünstige Wohnungen zu schaffen. Gothe misst dem Wohnungsneubau eine entscheidende Bedeutung zu im Kampf um bezahlbare Mieten. Die Akzeptanz des Wohnungsbaus in den Quartieren sei aber gering. Das hätten Veranstaltungen etwa in Neukölln gezeigt. Dort klagten Einwohner zwar über steigende Mieten und die Verdrängung angestammter Anwohner mit geringen Einkommen. Sie sprächen sich aber trotzdem gegen geplante Neubauten insbesondere am Rande des angrenzenden Flugfeldes aus – die Tempelhofer Freiheit möge man dann doch so erhalten, wie sie sei.

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