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Junge_Reyer

© Kai-Uwe Heinrich

Stadtentwicklungssenatorin Junge-Reyer: "Niemand wird ins Randgebiet verdrängt"

Senatorin Ingeborg Junge-Reyer spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über Mediaspree, die Diskussion mit den Gegnern und eine sozialverträgliche Entwicklung der Innenstadt.

Frau Junge-Reyer, der Bürgerentscheid gegen Ihre Pläne zur Mediaspree jährt sich. Man vermisst ein klares Wort von Ihnen dazu. Wie stehen Sie zu den Investitionen in dem Gebiet?

Die Entwicklung an der Spree ist außerordentlich wichtig für die Stadt. Der Bezirk und der Senat verfolgen gemeinsame Ziele. Die Entwicklung der O2-Arena, der Bau des Parks in unmittelbarer Nähe, das ist eine Gemeinschaftsarbeit von Bezirk und Senat. Über diese Kooperation mit dem Bezirk hinaus passe ich sehr genau auf, wenn einem Grundstückseigentümer Schaden zugeführt werden soll, und greife notfalls ein. Das habe ich an der Schillingbrücke bei einem privaten Eigentümer und dem Liegenschaftsfonds getan. Da bin ich leidenschaftlich, aber nicht laut. Der zunächst vom Bezirk aufgestellte Bebauungsplan hätte Schaden angerichtet. Ich habe den Bezirk deshalb aufgefordert, einen anderen Plan aufzustellen und deutlich gemacht, dass ich sonst die Angelegenheit an mich ziehen würde. Der Bezirk hat dann eingelenkt.

Auf der anderen Seite gibt es einen Bürgerwillen, der gegen bestehende Pläne aufbegehrt. Wie bewerten Sie das?

Das gemeinsame Leitbild von Senat und Bezirk für dieses Gebiet sieht seit Jahren vor, dass die Spreeufer zugänglich sein sollen. Nun gibt es Eigentümer, deren Gebäude unmittelbar am Wasser liegen, das Radialsystem zum Beispiel. Dort kann ich keinen 25 Meter breiten Uferstreifen vorschreiben. Auf der anderen Seite gibt es Einrichtungen wie eine Bar am Ufer der Spree, private Gaststätten, die das Ufer besetzen. Sie schaffen in der Mauer einen Zugang zur Straße, bauen anschließend eine Holzbarrikade mit Stacheldraht obendrauf und machen dann ihr Strandbar-Geschäft. Damit sie dort unbehelligt bleiben können, wird nunmehr die Revolution ausgerufen. Dabei ist es ein privates Interesse, das da verfolgt wird, hier wird in Kauf genommen, dass kein öffentlicher Zugang möglich ist.

Wäre es nicht notwendig, als Senatorin mal ganz konkret deutlich zu machen, wie das ganze Gebiet einmal aussehen soll?

Der Spreeraum ist ein gutes Beispiel für meine stadtentwicklungspolitischen Ziele. In Kreuzberg zum Beispiel werden alte Gewerbegebäude umgewidmet. Der eine oder andere Nutzer wird für die Verlagerung seines Unternehmens Unterstützung bekommen. Dabei wird das Ufer zugänglich werden. Um finanzielle Mittel einsetzen zu können, habe ich das Areal zu einem Gebiet des Stadtumbaus West erklärt. Genauso wie ich auf der anderen Seite der Spree diejenigen unterstütze, die investieren wollen, wie auf dem Gelände der BSR zum Beispiel. Gleichzeitig muss etwas für die Infrastruktur getan werden. Der Spielplatz in der Pücklerstraße muss wieder hergerichtet werden.

Trotzdem sind die Widerstände gegen Ihre Politik groß. Nehmen Sie die Menschen mit, die dort andere Ziele verfolgen?

Aber selbstverständlich nehme ich sie mit. Nehmen Sie „Mediaspree versenken!“, die Initiative kommt von selbst zu unseren Veranstaltungen. Wir reden miteinander. Die Mitglieder der Bürgerinitiative sind inzwischen Teil des stadtpolitischen Diskussionsestablishments.

Aber es kommt auch immer wieder zu Gewalttaten, die mit der Veränderung, der Erneuerung der Stadt begründet werden...

Ich habe dafür kein Verständnis. Ich werde auch nicht dulden, dass etwas zerstört wird, dass Menschen oder Sachen angegriffen werden. Überhaupt kein Verständnis und keine Entschuldigung gibt es dafür, Autos anzuzünden. Das ist Randale. Wer mit mir diskutieren will, ist willkommen. Wer Gewalt anwendet, der argumentiert nicht mehr, der zerstört und koppelt sich selbst von der gesellschaftspolitischen Diskussion ab.

Es gibt viel Protest gegen eine Entwicklung, die unter dem Begriff „Gentrifizierung“ steht: Wohnhäuser werden verkauft, die Mieten in angesagten Kiezen steigen, mit dem zahlungskräftigeren Publikum steigen die Preise.

Es hat beim Verkauf der städtischen Wohnungsbaugesellschaften klare vertragliche Regelungen gegeben, dass man die Mietobergrenzen einhält und sich am Mietspiegel orientiert. Der Verkauf von städtischem Eigentum hat nicht dazu beigetragen, dass damit spekuliert wird. Wir haben entschieden, keine weiteren Wohnungsbaugesellschaften zu verkaufen, weil es richtig ist, einen städtischen Bestand zu behalten. Daneben wollen wir auf die Mietenentwicklung im sozialen Wohnungsbau einwirken. So haben wir in den Großsiedlungen die Mieten begrenzt und haben den Wohnungsbaugesellschaften untersagt, die Förderkürzungen an die Mieter weiterzugeben.

In den Innenstadtbezirken verlaufen zwei Entwicklungen parallel: die Aufwertung – ein finanzkräftiges Publikum zieht zu, etwa in Kreuzberg, Mitte oder Prenzlauer Berg. Daneben verarmen aber ganze Bevölkerungsgruppen, deren soziale Verhältnisse immer problematischer werden. Welche Entwicklung macht Ihnen mehr Sorgen?

Nehmen wir zum Beispiel den Kollwitzplatz, ein Sanierungsgebiet. 9000 Menschen lebten dort zur Wendezeit, noch 1995 sind die Menschen weggezogen. Dann wurden 7000 Wohnungen saniert, die Kitas und Schulen, die Parks und die Spielplätze in Ordnung gebracht – und die Mieten sind geblieben, bei durchschnittlich 5,50 Euro pro Quadratmeter. 50 Prozent der Mieter dort zahlen sogar weniger als fünf Euro pro Quadratmeter. Die behutsame Stadterneuerung hat das Gebiet attraktiver gemacht für die, die dort wohnen. So werden wir in Neukölln-Nord und in der Turmstraße in Moabit weiterarbeiten.

Die andere Entwicklung ist die Verarmung. Wie bewerten Sie die Lage in Kreuzberg und Friedrichshain?

Wir haben für Kreuzberg und Friedrichshain in unserer großen statistischen Erhebung „Monitoring Soziale Stadtentwicklung“ festgestellt, dass es den Menschen dort durchschnittlich besser geht als noch bei einer vorherigen Erhebung. Am Boxhagener Platz gab es ein Quartiersmanagement-Gebiet. Das ist nicht mehr notwendig. Die Strukturen, die dort inzwischen existieren, stabilisieren das ganze Quartier. Armenviertel sind dort nicht entstanden, sondern attraktive Gebiete, in denen man immer noch preiswert wohnen kann.

Aber es sind dort auch Wohnungen entstanden, die für viele nicht mehr erschwinglich sind. Wer sich die Mieten dort nicht leisten kann, muss in die Randgebiete der Stadt ziehen.

Es wird niemand in ein Randgebiet verdrängt. Wer in Prenzlauer Berg eine Wohnung hat, muss diese Wohnung nicht verlassen. Doch gibt es auch Wohnungen, deren Eigentümer versuchen, höhere Mieten durchzusetzen, wenn die Wohnung frei geworden ist. Die werden akzeptiert von Menschen, die zuziehen. Wer aus München oder Hamburg kommt, ist andere Mieten gewohnt. Aber sogar in Prenzlauer Berg sind die Durchschnittsmieten nicht wesentlich oberhalb des Mietspiegels.

Aber Bürgermeister Franz Schulz stellt für Kreuzberg-Friedrichshain fest, dass dort Leute 30 bis 40 Prozent ihres Einkommens für die Miete aufwenden müssen. Wie wollen Sie diese Entwicklung stoppen?

Wer auf Transferleistungen angewiesen ist, hat es schwer mit einer Miete, die 30 oder 40 Prozent des Einkommens beträgt. Berlin hat aber weitgehende Regelungen, um es diesen Menschen möglich zu machen, auch mit einem unteren Einkommen in Kreuzberg zu wohnen.

Ist denn der spürbare Protest gegen die Aufwertung von Kiezen eher Sache einer radikalen kleinen Minderheit?

Ich kann Menschen verstehen, die sagen: Mieten in dieser oder jener Höhe sind zu hoch. Kein Verständnis habe ich für Anschläge oder Barrikadenbau. Wer hinter solchen Anschlägen steckt, ist momentan noch unklar, ich glaube aber nicht, dass es Personen sind, die ernsthaft an Stadtentwicklung interessiert sind.

Die Sozialstudien aus Ihrem eigenen Hause zeigen aber, dass es Verwerfungen auf der sozialen Landkarte Berlins gibt: Immer mehr Kinder leben in Brennpunkten und immer mehr verlieren dort den Anschluss an Bildung und Beruf.

Wir untersuchen diese Entwicklung sehr genau. Diese Gebiete sind aber auch nicht von den positiven Entwicklungen wie dem Aufschwung am Arbeitsmarkt vor zwei Jahren abgekoppelt. Dennoch intervenieren wir dort mit den Mitteln der sozialen Stadtentwicklung. Wir schaffen zum Beispiel Bildungsverbünde in Spandau und Neukölln, und damit ist nicht nur Rütli gemeint.

Es heißt, dort folgt Generation auf Generation, die nicht mehr ohne staatliche Unterstützung als Normalität auskommen.

Ich bekenne mich zur vehementen staatlichen Unterstützung dieser Stadtteile und der Menschen, die dort leben. Man darf nicht an der Adresse erkennen, welche Chancen auf Bildung ein Kind hat. Beim Einsatz von Fördermitteln bevorzugen wir deshalb Marzahn und Hellersdorf, Moabit, das Falkenhagener Feld und Nord-Neukölln. Wir geben das Geld dort aus, wo der Bedarf am größten ist. Gleichheit bei der Mittelverteilung wäre ungerecht.

Das Gespräch führte Ralf Schönball.

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