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In den Fängen der Diktatur. Detlef Matthes hat die Mauer von der Ostseite aus fotografiert. Das hatte harte Konsequenzen zur Folge.

© Zeichnung: aus dem Buch

Stadtgeschichte: Der Comic-Held aus dem Stasi-Knast

Gezeichnete Geschichte: Ein neues Buch erinnert an die Teilung Berlins. Im Mittelpunkt stehen Menschen wie Detlef Matthes, deren Schicksal mit der Mauer verbunden ist.

Auf den Schultern seines Vaters sitzend sieht Detlef Matthes zum ersten Mal die Mauer. Es ist 1976, und der Achtjährige aus der Nähe von Bernau bummelt mit seinen Verwandten durch den Ostteil Berlins. Vor dem Brandenburger Tor müssen sie vor einem Geländer stehen bleiben. Ihr Blick führt vorbei an einem Grenzsoldaten, durch die Säulen des Wahrzeichens hindurch bis zu einem Hindernis, das die Sicht versperrt. „Was ist das weiße Ding da hinten?“, fragt Matthes.

Wie es für ein Kind war, die Mauer zu verstehen, ist eine Erfahrung aus Matthes’ Leben. Dies zeigt die Comicepisode in dem jetzt erschienenen Buch „Berlin - Geteilte Stadt“. Für den heute 44-Jährigen war dieses Ereignis ausschlaggebend, sich als junger Mann mit der Teilung zu beschäftigen und damit, was dahinter, also in West-Berlin, war. Aus diesem Interesse heraus begann er, die Mauer zu fotografieren – obwohl es verboten war. „Es war viel Naivität und Abenteuer“, sagt er heute. Aber damals habe es ihn fasziniert.

Für Jugendliche soll das Leben mit der Mauer erfahrbar werden

Seine Fototouren durch Berlin, seine Verhaftung, die Stasi-Untersuchungshaft in Hohenschönhausen und seine Ausreise in den Westen halten die Comicautoren Susanne Buddenberg und Thomas Henseler in ihrem Buch fest, das am Donnerstag in der Mauergedenkstätte Bernauer Straße vorgestellt wurde. Matthes ist einer von fünf Mauerzeitzeugen, dessen Geschichte sie erzählen.

Mit ihrem Buch wollen die zwei Künstler das Leben mit der Mauer erfahrbar machen – vor allem für Jugendliche. „Viele 20-Jährige fotografierten sich heute ständig vor Mauerresten und wissen gar nicht, dass das früher so nie möglich war“, sagt Henseler, der wie Buddenberg Design und Film in Aachen und Potsdam studiert hat. Ein Comic sei eine gute Form, um jungen Menschen zu zeigen, wie das Leben in einer Diktatur war. Deswegen wählten die beiden Autoren bewusst junge Hauptfiguren, um ähnliche Lebenswelten zu zeigen. „Es geht um Musikhören, um Abiturmachen, Dinge, die heute selbstverständlich sind“, sagt Henseler weiter. „Aber das ging damals für unsere Protagonisten eben nicht.“

Unterm Schirm. Susanne Buddenberg (r.) und Thomas Henseler (3.v.r.) haben ein Comicbuch über die Mauer gemacht. Detlef Matthes spielt darin eine der Hauptrollen.
Unterm Schirm. Susanne Buddenberg (r.) und Thomas Henseler (3.v.r.) haben ein Comicbuch über die Mauer gemacht. Detlef Matthes spielt darin eine der Hauptrollen.

© Dors Spiekermann-Klaas

Ein Jahr lang haben sie Zeitzeugen gesucht, deren Biografie recherchiert und anhand von Erinnerungen und Fotos die Comics gezeichnet. Und das mit viel Liebe zum Detail: Eine Fotokamera des Modells „Exa 1b“, ein alter S-Bahn-Waggon, Nebenschauplätze wie die sowjetische Botschaft, in der heute die russische Vertretung residiert. In Matthes’ Kapitel finden sich auch einige seiner Mauerfotos. Fast 180 Aufnahmen hatte er in Berlin geschossen. Als er 1987 wegen Fotografierens auf einem Konzert vor dem Brandenburger Tor verhaftet wird, werden diese bei einer Hausdurchsuchung beschlagnahmt.

„Niemand hatte so viele Mauerfotos gemacht wie ich“

Als Matthes sechs Jahre nach der Wende seine Stasi-Akten einsieht, findet er die Fotos wieder. „In den Akten stand, dass ich Rekordhalter war. Niemand hatte so viele Mauerfotos gemacht wie ich“, erzählt der gelernte Instandhaltungsmechaniker. „Da war ich richtig stolz.“ Für Matthes bietet dieser Comic eine neue Perspektive auf sein Leben und auch ein Stück Aufarbeitung. Noch heute beschäftigen ihn die Erlebnisse. Derzeit schreibt er selbst ein Buch, in der Hoffnung, so endlich mit dem Thema abschließen zu können.

Schlaglichter der Geschichte: Eine Szene aus „Berlin – Geteilte Stadt“.
Schlaglichter der Geschichte: Eine Szene aus „Berlin – Geteilte Stadt“.

© Avant

Am 26. Februar 1988 verlässt Matthes die DDR. Sein Ziel ist Kreuzberg, dort will er künftig leben. Im Westfernsehen hatte er so viel über den Bezirk gesehen. Da passte er hin, dachte er, und bis heute ist er dort geblieben. Direkt nach seiner Ausreise lief Matthes aber erst einmal zur Mauer an der Kochstraße. Von West-Berlin aus konnte er sich ihr nähern, ohne eine Strategie des Nicht-Auffallens entwickeln zu müssen. Er kletterte auf eines der Podeste, die an der Grenze standen und blickte hinüber. Nun war er an der Stelle, von der er immer gesagt hatte: Eines Tages werde ich dort stehen und die Mauer von der anderen Seite sehen.

Susanne Buddenberg/Thomas Henseler: Berlin - Geteilte Stadt, avant-Verlag, 100 Seiten, 14,95 Euro, in deutscher und englicher Sprache

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