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Advent: Exzessiv wie Fastnächte

Schon Essayist Sebastian Haffner erkannte, dass Berliner eines lieben: den Adventsbummel. Für den Massenandrang an den Kaufhauskassen, Straßenständen, in Buchläden und Parfümerien hat Haffner eine Erklärung, die auch dem Konsumtrubel dieser Tage einen höheren Sinn zu verleihen vermag.

Es ist der dritte Advent. Im Kaufhaus Galeria am Alexanderplatz bestaunen mehr Menschen die hübsch beleuchteten Auslagen als im ebenso großen Naturkundemuseum, das heute ausnahmsweise freien Eintritt hat. Kein Wunder: Im Dezember sind Sonntage (noch) zum Einkaufen da. Das war in Berlin schon immer so, möchte man meinen, schenkt man einem Zeitungsartikel von 1933 Beachtung. Damals schrieb der Journalist und spätere Bestsellerautor Sebastian Haffner in der „Vossischen Zeitung“ über eine Berliner Marotte in der Vorweihnachtszeit: „Wenn man irgend kann, kauft man sonntags, am kupfernen, silbernen oder goldenen Sonntag, denn alltags kann man ja immer kaufen, und wer wird alltags kaufen, wenn man sensationellerweise auch einmal sonntags einkaufen kann?“

Für den Massenandrang an den Kaufhauskassen, Straßenständen, in Buchläden und Parfümerien hat Haffner eine Erklärung, die auch dem Konsumtrubel dieser Tage einen höheren Sinn zu verleihen vermag: „Das Weihnachtsgeschäft hat einen häßlichen und prosaischen Namen, aber es ist etwas ganz anderes als ein gewöhnliches, trockenes Geschäft: es ist eine vierzehntägige Vorfeier, ein Fest, an dem die ganze Stadt teilnimmt, und für Berlin in der Öde des Dezembers ist es geradezu eine Rettung.“ In diesem Sinn durchaus schlüssig, folgert Haffner: „Andere Städte haben den Fasching, Berlin hat das Weihnachtsgeschäft.“

Wintersachen würden in Berlin etwa grundsätzlich nicht dann gekauft, wenn der Winter beginnt, sondern in jenem Weihnachtsgeschäft, „denn dann ist es ja viel schöner zu kaufen, weil dann alle kaufen und viel mehr Betrieb ist“. Wer diese Logik nicht verstehe, sei eben kein Berliner. Der christlich verpackte Konsumrausch ist demnach eine Berliner Entdeckung: Jede Stadt habe ihre eigene Weihnachtssitte „und Berlin hat sich als besondere Würze des Festes das Weihnachtsgeschäft erfunden“.

Die drei verkaufsoffenen Sonntage sind laut Haffner die „wahren Berliner Fastnächte“. In ihrem Getöse und Gedränge empfinde der Berliner „die ihm eigentümlichste Freude, die am Betrieb“. Und hier erkenne der Eingesessene auch „mitten in aller Altberliner Gemütlichkeit sein amerikanisches Berlin wieder“.

Haffner ging 1938 mit seiner jüdischen Verlobten nach England ins Exil und wurde später mit seinem Buch „Geschichte eines Deutschen“ berühmt. Bevor er sich als politischer Analytiker hervortat, war er Feuilletonist in der Weimarer Republik und den ersten Jahren in Nazi-Deutschland. Damals publizierte er unter seinem Geburtsnamen Raimund Pretzel. Seine Essays von 1933 bis 1938 waren lange vergessen und tauchten erst vor wenigen Jahren auf, als 50 davon in einem Sammelband veröffentlicht wurden. So wie der Artikel „Festlicher Dezember“, um den es hier geht.

„Wer sich so um den 15. Dezember herum an einem dunklen Spätnachmittag die Leipziger Straße lang über Spittelmarkt und Rathaus zum Alexanderplatz drängelt – eine andere Fortbewegungsart als Drängeln gibt’s um diese Jahreszeit nicht –, der wird seltsam eingefangen von einer historisch-heimatlichen Luft“, schrieb er. Über 75 Jahre später gilt das immer noch: Der Weihnachtsmarkt am Alexanderplatz, der von außen mit seinem grellen Riesenrad aussieht wie ein Volksfest, bietet allerhand Nostalgie. Streichmusik und Kinderkarussell, Keramikschalen und Holzspielzeug, Eisbein und Zuckerwatte – der weihnachtliche Budenzauber hat sich nur unwesentlich verändert, wenn man Haffners Ausführungen liest. Auch wenn „Patenthosenspanner“ und „unverlierbare Kragenknöpfe“ heute nicht mehr in die Angebotspalette gehören – das Verkaufsprinzip scheint das gleiche geblieben zu sein: „Was man auf diesen Weihnachtsmärkten kauft, ist gar nicht die Ware, hier kauft man schmunzelnde Rührung, gute kernige Berliner Witze und Weihnachtsstimmung“, schrieb Haffner.

Der eigentliche Höhepunkt des Festes sind übrigens nicht die Sonntage. „Der eigentliche Höhepunkt ist der Heiligabendvormittag“, schrieb der verstohlene Komsumkritiker Haffner. „Am Heiligabendvormittag entdeckt der Berliner, dass er noch nichts zu schenken hat.“ Dann beginne „ein letzter Generalangriff“ auf allen Fronten des Weihnachtgeschäfts.

„Wem sein Leben lieb ist, der bleibt zu Hause, wer aber ein Berliner ist, der geht jetzt einkaufen.“ 1933 musste der Berliner an Heiligabend offenbar dringend ein Grammophongeschäft aufsuchen. Das ist heute eher nicht mehr der Fall. Dennoch bleiben die Parallelen auffällig. Auf den Massenandrang am 24. Dezember sind noch immer alle Geschäfte vorbereitet. „Welch Orgie, welch’ ungeheurer Karneval!“, schrieb Haffner dazu.

Danach naht auch schon jedes Jahr das das Ende des Berliner Weihnachtskarnevals. „Zwischen vier und fünf (Uhr) brüllt das berlinische Fest noch einmal auf – dann, mit einem Schlage, verlischt es.“ Darauf folgt ein anderer Anblick in Berlin: „Die Straßen sind still, die Buden verlassen, die Geschäfte dunkel, vielleicht sind irgendwo Glocken in der Luft.“ Ferda Ataman

Sebastian Haffner: „Das Leben der Fußgänger“, Hanser-Verlag, 23,50 Euro

Ferda Ataman

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