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Amalien-Orgel: Das Rokoko-Gebirge

Einst stand sie im Berliner Schloss im Gemach der Prinzessin Anna Amalia. Nach der Restaurierung wird die älteste Orgel der Stadt jetzt wieder eingeweiht

Von unten wirkt die Amalien-Orgel klein. Man muss schon auf der Galerie direkt vor ihr stehen, um zu merken, wie groß sie wirklich ist. Fast fünf Meter wächst sie in die Höhe, ein Rokoko-Gebirge aus grünen und weißen Paneelen, mit Blattgold belegten, tändelnden Verzierungen und schimmernden silbernen Pfeifen. Das Schmuckstück der Karlshorster Kirche „Zur Frohen Botschaft“ ist nicht irgendein Instrument. Sondern die älteste noch erhaltene Orgel Berlins. Sie stammt von 1755.

Alle anderen Konkurrentinnen aus dieser Zeit, die ihr den Rang hätten streitig machen können – zum Beispiel die Schnitger-Orgel von 1706 im Schloss Charlottenburg – haben Krieg und Zeitläufe nicht überstanden. Die Sauer-Orgel im Berliner Dom rangiert erst recht unter ferner liefen, die wurde erst 1905 erbaut. Am Freitag wird die Amalien-Orgel nach einjähriger Restaurierung wieder eingeweiht.

Was an Preußens Kultur noch übrig ist, steckt heute in Schätzen wie dieser Orgel. Anna Amalia – nicht zu verwechseln mit der Namensgeberin der Weimarer Anna-Amalia-Bibliothek – war Schwester Friedrich II., Prinzessin, Komponistin und Bach-Verehrerin. Johann Sebastian wohlgemerkt, den damals kaum einer kannte. Anna Amalia war ihrer Zeit voraus. Um seine Werke spielen zu können, ließ sie sich diese Orgel bauen, mit 22 Registern, 1100 Pfeifen und einem Umfang bis zum dreigestrichenen f – während die meisten anderen Orgeln dieser Zeit höchstens bis zum dreigestrichenen c oder d reichten. Der Bach-Sohn Carl Philipp Emanuel, der damals viel angesagter war als sein Vater, hat auf diesen Tasten gespielt.

Elf Jahre lang stand die Orgel in den Privatgemächern Anna Amalias im Berliner Schloss. Danach begann eine lange Reise. Beim Umzug der Prinzessin ins Palais Unter den Linden 7 – heute steht hier die Russische Botschaft – kam die Orgel mit. Kurz nach dem Tod der Besitzerin 1787 brachte man sie in die Schlosskirche von Buch, wo sie 150 Jahre blieb. In den 1930er Jahren hätte sie in die Nikolaikirche umziehen sollen, wo sie im Krieg vernichtet worden wäre. Es kam nicht dazu, stattdessen überstand die Orgel, teils in der St.-Marien-Kirche und in Potsdam eingelagert, die Katastrophe. 1960 schenkte sie die Mariengemeinde der Karlshorster Gemeinde. Die konnte damals gerade ihre 1910 erbaute Kirche wieder beziehen, nachdem die Sowjetstreitkräfte, deren Oberkommando in Karlshorst saß, die Kirche als Lagerraum genutzt hatten.

Seither wird die Orgel für den Gottesdienst und für Konzerte genutzt, zum Teil auch mit Orchester. „Aber das Holz wurde brüchig und undicht, beim Spielen traten unerwünschte Töne und Geräusche auf, die eine künstlerische Nutzung unmöglich machten“, sagt Franz Bullmann vom Förderkreis Amalien-Orgel. Da musste dann der inzwischen verstorbene Organist Roland Münch oft aufstehen, erzählt Bullmann, um dem Zuhörer mitzuteilen: „Entschuldigen Sie, die alte Dame hat wieder ihre Unpässlichkeiten.“

2009 begann die Restaurierung für 500 000 Euro, finanziert mit Lottogeldern und Spenden. Orgelbaumeister Kristian Wegscheider und Restauratorin Hilke Frach-Renner aus Dresden haben unter anderem neue Holz- und Metallpfeifen eingesetzt, wobei 75 Prozent der Metallpfeifen immer noch original aus dem Jahr 1755 stammen. Dieses Wochenende wird die Wiedereinweihung gefeiert. Und wer genau aufpasst, der hört bei dieser Orgel sicher den Klang der Geschichte mitschwingen.

„Zur Frohen Botschaft“, Weseler Straße 6, Karlshorst, Freitag 19 Uhr Einweihung, Sonnabend Führungen und Konzert, Sonntag Gottesdienst, www.amalien-orgel.de

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