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Anti-Hauptstadt-Bücher: Immer ruff da: Neuer Lesestoff für Berlin-Verächter

Gerade sind wieder ein paar neue Hassbücher über die Hauptstadt erschienen. Die Autoren brühen die Melange bekannter Nichtigkeiten: Hundescheiße, Kasernenhofton und die Mütter Prenzlauer Bergs.

Das Schöne an Berlin ist, dass jeder bis in den hintersten Regenwald eine eigene, fest umrissene Meinung darüber hat. Damit befindet sich die Stadt in der Metropolen-Liga und unterscheidet sich grundsätzlich von Städten, die einfach nur so daliegen wie Braunschweig oder Völklingen, umfahren, ignoriert. Und da jeder eine andere Meinung über Berlin hat, eignet sich die Stadt perfekt dazu, Objekt von Liebes- und Hassbüchern zu sein; egal, wie groß die Zuneigung, wie groß der Hass sein mag, irgendwas trifft immer irgendeinen Richtigen.

Gerade sind wieder ein paar neue Hassbücher hereingekommen, Gott, man liest so was ja zumindest anfangs mit einigem Interesse. Bis auffällt, dass sich unweigerlich alles immer wieder um die klassischen Topoi, um nicht zu sagen: Klischeeklamotten der Berlin-Kritik dreht. Hundescheiße voran, dann der Kasernenhofton vor allem der Bäckereifachverkäuferinnen, die Prenzlauer-Berg-Mütter, die Taxifahrer und der neue Potsdamer Platz: Diese fünf Elemente reichen jedem einigermaßen talentierten Schreiber aus, um eine flotte Melange bekannter Nichtigkeiten zu brühen. Die Namen der angesagten Kinderwagenmarken, dazu pro Druckseite zweimal „Latte Macchiato“ und einmal „Bionade“ untergehoben, und schon ist die fetzige Prenzlberg-Polemik fertig. Hoho, sagen dann die Leser draußen im Lande, hab ich mir doch immer gedacht, dass man das da im Kopf nicht aushält.

So ist es auch im soeben bei Lübbe erschienenen Buch „I hate Berlin“. Untertitel: „Unsere überschätzte Hauptstadt“. Die Autoren, überwiegend aus der jüngeren Generation, haben so ihre Erfahrungen mit Berlin, und sie verstehen sie routiniert zuzuspitzen, wenn auch nicht alle so brachial wie Wiglaf Droste, der längst unbesehen alles niederrempelt, was nicht bei Drei über die Stadtgrenzen ist.

Am elegantesten zieht sich Burkhard Spinnen aus der Affäre, der seine eigene Berlin-Geschichte mit der architektonischen Entwicklung der Stadt verwebt und zu einigen schmerzenden Erkenntnissen kommt. Stefan Bonner und Anne Weiss stellen mit einer gewissen Selbstironie Berlin und Köln gegenüber, was nicht unerwartet zugunsten Kölns ausgeht, und Alina Bronsky hat ein paar hübsche Erkenntnisse über die Besonderheiten Berliner Autorenlesungen zu bieten. Der Rest ist überwiegend von der Erkenntnis getragen, dass es sich mit Alsterblick oder gleich hinter dem Viktualienmarkt eben doch am besten leben lässt, und dem ist ja auch schwer zu widersprechen.

Weitere Munition gegen Berliner Stubenhocker liefern Tommy Heuss und Christian Weiss, deren Buch „Vergiss Berlin – Eine Reisewarnung“ ebenfalls keinen Zweifel an seiner Stoßrichtung lässt. Es handelt sich um einen nach Themen sortierten Anti-Reiseführer, der ein wenig stärker in die Tiefe geht und vor allem das Berliner Bodenpersonal genauer betrachtet, die bemoosten Kabarettisten, die Veranstalter eitler Großfestivitäten bis hin zur Berlinale, die C-Prominenten mit Drang in die B-Liga. Die Frage, weshalb ausgerechnet Leute wie Udo Walz, Sabine Christiansen oder Isa von Hardenberg in der Stadt derart weltberühmt sind, wird mit verständlichem Unverständnis gestellt und selbstverständlich nicht beantwortet. Ein wenig Spott über Curry-Kult und Döner-Donner, Exkurse in die sumpfige Urzeit und die nicht weniger sumpfige Mauerzeit, ein paar sachliche Informationen und sogar das eine oder andere Lob, bevor wieder weitergeböllert wird und schließlich auch Knut und Kosslick unter die Räder kommen, ach, das ist schon ganz heiter zusammenpolemisiert .

Berlin-Bashing gab es auch früher, nur hieß es anders. Das verdeutlicht das Buch „Berlin ist das Allerletzte“, dessen Herausgeber Detlef Bluhm und Rainer Nitsche Negativbelege in der Literatur gesucht haben. Diese sind fast alle schon hundert Jahre alt oder älter, und insofern lebt niemand mehr, der Auskunft über die Wahrhaftigkeit der Autoren geben könnte. Das Bild, das sich beim Lesen zusammenfügt, ist indessen deprimierend, verlockt keineswegs zu einer Zeitreise. Goethe, Storm, Turgenjiew, Rilke, Fontane sowieso, alle waren mal da in ihrer Zeit und haben offenbar keinen Grund gesehen, Schmeichelhaftes zu hinterlassen, jedenfalls nicht in diesem Buch.

Es wäre sicher jetzt an der Zeit, mal ein Lob-Kompendium über Berlin zu verfassen, klischeefrei, hellsichtig, optimistisch. Aber das will vermutlich kein Schwein lesen.

Moritz Kienast (Hg.): I hate Berlin. Unsere überschätzte Hauptstadt. Lübbe Ehrenwirth, 203 S., 14,99 Euro; Tommy Heuss/Christian Weiss: Vergiss Berlin. Eine Reisewarnung. Eichborn, 174 S., 9,95 Euro; Detlef Bluhm/Rainer Nitsche (Hg.): Berlin ist das Allerletzte. Absagen in höchsten Tönen. Transit, 135 S., 14,80 Euro

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