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Artistenschule: Berufsrisiko Zahnverlust

Absolventen der Artistenschule zeigen ihr Können – bei der Gala „Book Stories“ im Wintergarten.

Die Hasen-Nummer lief perfekt. Ivan Luzan sitzt im Kreis seiner Darsteller und blickt zufrieden. Kurz zuvor hatte sich die Trainingshalle in einen improvisierten Strand verwandelt, an dem Frauen in knappen Miedern und mit großen Hasenohren aufgeregt herumliefen, während eine von ihnen auf dem Strandkorb kopfüber balancierte. „Das sah gut aus“, sagt Luzan, „aber an den Einzeldarbietungen müssen wir noch feilen.“

Es ist Prüfungswoche an der Staatlichen Schule für Artistik Berlin in Prenzlauer Berg. Seit Tagen bereiten sich die zwölf Schüler der Abschlussklasse intensiv darauf vor. Am Trapez. Auf dem Seil. Am Boden. Sie jonglieren Bälle, lassen Reifen um die Hüften kreisen und widersprechen mit ihren Körpern anatomischen und physikalischen Gesetzmäßigkeiten. Jeder muss eine siebenminütige Nummer mit dem Requisit zeigen, auf das er sich im Laufe seiner Ausbildung spezialisiert hat. Regisseur Ivan Luzan, 28, hat diese Solo-Parts zu einer Show zusammengefügt, Übergänge erarbeitet und das Ganze in einen Rahmen gefügt, der alles zusammenhält. „Book Stories“ heißt die knapp zweistündige Gala, sie spielt in einer imaginären Bibliothek, in der die Geschichten der einzelnen Bücher lebendig werden. Und nach der Pflicht – der Prüfung – kommt die Kür: Diesen Montagabend bringen die Absolventen die Show im Wintergarten-Varieté auf die Bühne.

Die Artisten sind jetzt noch unverbraucht, wie ein leeres Blatt Papier, sagt Ivan Luzan, deshalb macht ihm die Arbeit so viel Spaß. Der Körper des drahtigen Ukrainers steckt in einer schwarzen Hose und einem engen Shirt mit dem Aufdruck „We’re on a mission from God“, wir sind auf einer Gottesmission. Bereits letztes Jahr war er für die Choreografie der Absolventenshow verantwortlich, die nach ihrer Aufführung im Wintergarten auf eine mehrwöchige Tour durch Deutschland ging. So auch diesmal. Bis September werden die Absolventen unterwegs sein, unter anderem in Stuttgart, Düsseldorf, Hamburg und Weimar. Und so schon mal einen ersten Eindruck vom rastlosen Artistenleben bekommen.

Sich in der heutigen Zeit für diesen Beruf zu entscheiden, bedarf Mut und Zuversicht – die Konkurrenz ist groß, feste Engagements gibt es nicht viele. Bertan Canbeldek, 18, ist trotzdem optimistisch, „obwohl Außenstehende einen oft belächeln“. Er hat sich auf „Bouncing Jonglage“ spezialisiert, in seiner Einzeldarbietung bändigt er ein halbes Dutzend nervös zappelnder kleiner Bälle. Seit seinem achten Lebensjahr steht er im Rampenlicht, angefangen hat er beim Kinder- und Jugendzirkus Cabuwazi in Kreuzberg. Es sei eine Sucht, auf der Bühne stehen zu wollen, sagt Bertan Canbeldek.

Ähnlich empfindet das Sarah Trägner. Mit 15 verließ sie ihr Gymnasium in Erfurt, um an die Artistik-Schule zu kommen. Nach dem Abschluss 2005 bekam sie direkt ein Engagement im Wintergarten. Danach ging sie an eine Zirkushochschule in der Nähe von Paris, wurde Mitglied einer französischen Compagnie. Sie ist auf das Schlappseil spezialisiert, das zwischen einem Metallgestänge durchhängende Gerät verlangt besonders viel Körperbeherrschung und Feingefühl. Anfang des Jahres ist Trägner, 24, zurück nach Berlin gekehrt und kommt nun regelmäßig zum freien Training an ihrer alten Schule. Dass der Artistenberuf körperlich sehr hart ist, hat sie erst neulich wieder zu spüren bekommen. Eine Aufführung kostete sie einen Schneidezahn. Weil das Publikum so euphorisch applaudierte, verbeugte sich Trägner besonders tief. Und schlug mit dem Mund auf den Boden auf. „Berufsrisiko“, sagt sie und lacht dabei. Nana Heymann

Beginn 20 Uhr, Karten ab 15 Euro. Weitere Aufführungen am 8., 9. und 13. Juli

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