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Auf Heimaturlaub: Als Hotelgast in der eigenen Stadt

Werbung vor der Haustür: Berlins Hotels hatten das Wochenende für Gäste aus Berlin reserviert. Unser Autor checkte ebenfalls ein.

Manchmal hat man einfach keine Argumente mehr. Seit Jahren schon macht die Ehefrau immer wieder den Vorschlag, doch mal in einem Berliner Hotel zu übernachten, so als Besucher in der eigenen Stadt. Jedes Mal schüttle ich unverständig den Kopf: Wir haben hier doch unser eigenes Bett. Wozu also woanders übernachten? Jetzt aber kam ihr die hauptstädtische Tourismusmarketing-Gesellschaft zur Hilfe: „visitBerlin“, wie sich das Fremdenverkehrsamt jetzt nennt, rief für den 6./7. November die Aktion mit dem Titel „Erlebe Deine Stadt! Das Berlin-Wochenende nur für Berliner“ aus. Für 99 Euro bieten 22 Hotels eine Übernachtung mit Frühstück, Abendessen und late checkout an, dazu gibt es die Berlin Welcome Card mit einem 48-Stunden-BVG-Ticket und diverse Rabattgutscheine. Die Gattin schlug sofort zu, sicherte uns eine Nacht im Hotel Intercontinental an der Budapester Straße.

Im Interconti! Da kann ein gebürtiger Westberliner wirklich nicht Nein sagen. Das Haus ist nun einmal eine Ikone, war zu Mauerzeiten neben dem Kempinski (und vielleicht noch dem Schweizerhof) das feinste Haus am Platze. Und bleibt auf ewig verbunden mit dem Namen einer anderen Legende: Harald Juhnke. 1984 hat er im Interconti seinem Idol Frank Sinatra gehuldigt – der Mitschnitt des Konzerts ist bis heute im Handel zu haben. Im Dezember 1993 verschanzte sich der 66-Jährige dann hier mit einer 18-jährigen Geliebten. Während die Pressemeute im Foyer lauerte, hielten Bild-Zeitungs-Reporter Wache hinter der Tür der Suite 1015. Im September 1998 schließlich gehörte Juhnke zu den Gästen der letzten „Talk im Turm“- Sendung, die Erich Böhme im Interconti moderierte.

Und nun also sollen wir hier logieren, „eine erstaunlich günstige Auszeit nehmen“, wie VisitBerlin jubiliert, „in einer der aufregendsten Städte Europas“. Drei Tage nach Buchungsbeginn waren die Zimmer in allen teilnehmenden Hotels weg, egal ob in Mitte oder in den Kudamm-Seitenstraßen, im Wedding, an der Landsberger Allee, in Reinickendorf oder am Tierpark Friedrichsfelde. Was selbst die Erfinder der Aktion überraschte. „Die ganze Sache ist ja ein Pilotprojekt“, sagt „VisitBerlin“-Pressesprecherin Natascha Kompatzki, gemeinsam erfunden von den Stadtmarketing-Profis und der örtlichen Hotellerie. Schnell wurden weitere Kontingente nach geschoben, doch auch die wurden ihnen aus der Hand gerissen. Längst wird über eine Wiederholung der Aktion im kommenden Jahr nachgedacht.

Und so packen am Sonnabend überall in der Stadt Hunderte Berliner ihre Trolleys, stecken ihre Ausweise ein, um sich als Hauptstädter legitimieren zu können, und brechen auf zum Heimaturlaub. Unsere Anreise dauert gerade mal eine Viertelstunde, gefühlt also kaum länger als der Weg durch die Eingangshalle des Interconti von der Glaspyramide bis zum Rezeptions-Tresen. Die Concierge sieht zwar im Computer, woher wir kommen, kann sich sein routinemäßiges „Hatten Sie eine gute Anreise?“ dann aber doch nicht verkneifen. Livriertes Personal wuselt um uns herum, nein danke, den Minikoffer ziehe ich selber, ja bitte, gerne folgen wir der Dame, die uns zum 10. Stock hinauf begleitet. Wir wohnen in der Juhnke-Etage! Und, wow, auch wir bekommen eine Suite: Entrée, Salon, Schlafzimmer, repräsentative Ecklage. Unter uns in herbstlichem Bunt der Zoo, dahinter die Westberliner Skyline mit Gedächtniskirche, Europacenter und, als Neuzugang, der Rohbau des Waldorf-Astoria.

Der Nachmittag verfliegt mit Dingen, die man in Fünf-Sterne-Hotels so macht, ein paar Bahnen ziehen im Schwimmbad, dann Whirlpool, schließlich Hochglanzmagazine durchblättern. Zum Glück keine steifleinene Atmosphäre beim Abendessen: Das Restaurant nennt sich „L.A. Café“ und verspricht authentische chinesische Küche – die dann doch schmeckt wie beim Kiezasiaten. Den Digestif gönnen wir uns an der „Hugo’s“-Bar, ganz oben im 14. Stock, wo der Blick endlos über die nächtliche Hauptstadt gen Osten schweift.

Nein, sagt die Gattin am nächsten Morgen beim Frühstück, während ich mit dem Croissant auf die bodenlange weiße Stofftischdecke krümle, das hier ist definitiv nicht Wowereits Berlin. Weder arm noch sexy. Und doch ein guter Startpunkt für Entdeckungsreisen ins avantgardistische, Neue Berlin. Stimmt, sage, ich, weil man in dieser ewig unfertigen Stadt einfach Orte braucht, wo man sich darauf verlassen kann, dass alles so bleibt, wie es schon immer war.

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