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Stadtleben: Auf zur Chlor-Probe

Als Hallenschwimmer hat man es nicht immer leicht. Aber es lohnt sich. Wo jetzt die besten Becken frei sind

Für Schwimmer ist das ein magischer Moment: tief einatmen, sich der Tragkraft des Wassers anvertrauen, mit den Füßen abstoßen und die ersten Armschläge tun – vier, fünf Mal. War vor einer Minute der Kopf voll, ist nun Ruhe. Konzentration aufs Wesentliche: Armbewegung, Atemtechnik, die nächste Wende. Schwimmen ist eine Leidenschaft.

Sie auszuleben machen die Berliner Bäderbetriebe (BBB) ihren Kunden nicht immer leicht. Aber Schwimmer halten einem großen Leidensdruck stand. Die meisten Stammgäste, so sie sportlich schwimmen wollen und etwas abgehärtet sind, bejammern jedes Jahr das Ende der Freibadsaison. „Die Halle ist grausam“, schrieb kürzlich ein Stammgast des Prinzenbads an die Redaktion.

Ja, spinnen die? Bei näherem Hinsehen nicht: Im Gegensatz zu den Freibädern haben die Hallen keine geregelten Öffnungszeiten. Im Herbst und Winter herauszufinden, welche Hallen wann geöffnet sind, ist eine Wissenschaft für sich. Und immer ist die Halle des Vertrauens gerade geschlossen. Wer zum Beispiel auf die Idee kommt, als Innenstadtbewohner am Sonnabendvormittag schwimmen gehen zu wollen, erhält von Europas größtem kommunalen Badbetreiber (Eigenwerbung BBB) folgendes Angebot: Stadtbad Wilmersdorf: geschlossen, Stadtbad Tiergarten: geschlossen, Schwimmhalle Fischerinsel: geschlossen, Stadtbad Mitte: ab 14 Uhr, Spreewaldbad: ab 11 Uhr, Schwimmhalle Sachsendamm: geöffnet, wenn nicht gerade eine Veranstaltung stattfindet. Bleibt am Ende noch das Stadtbad Schöneberg, das um 9 Uhr öffnet. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, was dann dort los ist. Für planschende Familien ist das wunderbar, sportliches Schwimmen sieht allerdings anders aus.

Bei dieser Situation wird es vorerst bleiben. Das Stadtbad Tiergarten, wegen seines 50-Meter-Beckens beliebt, sollte nach der üblichen Schließzeit am kommenden Montag öffnen. Jetzt gibt es aber Lieferschwierigkeiten bei den Fliesen. Die Eröffnung verzögert sich noch einmal um zwei Wochen. Dann werden sich Öffnungszeiten ändern, und Sonnabendfrüh sind nun auch noch Vereine im Bad.

Wer auf einer Bahn schwimmt, die zwar frei, aber für einen Verein reserviert ist, dem kann Folgendes passieren: Kaum kommen die verspäteten Sportler angeschlappt, springen sie ins Wasser, stellen sich in den Weg oder greifen nach Armen oder Beinen des Kunden, statt ihn wenigstens die Bahn zu Ende schwimmen zu lassen. Beim Auftauchen schleudern sie ihm ein „Ver-e-e-e-in!!“ entgegen, was so viel heißt wie: Weg hier! Das alleine reicht schon aus, sich zu schwören, niemals einen Mitgliedsantrag in so einem Club zu unterschreiben. Wer möchte schon mit Schwimm-Stalinisten seine Leidenschaft teilen?

Aber die Schwimmhalle hat auch unschlagbare Vorteile. Geregelte Temperaturen zum Beispiel. Nie muss man fürchten, in einer Halle der BBB zu frieren. Außerdem haben die Hallen bis in den späten Abend auf, was sie für berufstätige Schwimmer selbst im Sommer unverzichtbar macht. Dann sind die sonst so vielgelobten Freibäder nämlich zu.

Und es werden zahlreiche Kurse angeboten: Schwimmen lernen zum Beispiel oder die beliebte Aqua-Fitness. Hübsch anzuschauen und sicherlich auch spaßig mitzumachen ist es, wenn eine illustre Damengruppe im besten Alter mit bunten Badekappen vergnügt quietschend ihre Übungen zur Musik macht: „I’m so horny, horny, horny, horny.“ Auf die Übersetzung wird an dieser Stelle verzichtet. Gewöhnungsbedürftig ist leider, dass mit dem Hinweis auf Personalknappheit auch männliches Personal in den Damenduschen eingesetzt wird. Wäre ja nicht weiter tragisch, wenn es nur zum Feierabend passiert. Wenn aber ein Badewärter zur Mittagszeit mit kaltem Wasser die Duschkabinen abspritzt, bleiben berechtigte Proteste nicht aus.

Zum Glück gibt es auch positive Veränderungen. Seit Jahren habe ich in dieser Saison im Spreewaldbad mal wieder jemanden mit einem Feudel durchwischen sehen. Und es müffelt in den Umkleiden nicht mehr so stark wie früher. Bloß gut, dass wir nicht in einer katholischen Stadt leben, sonst würden die Kunden an ein Wunder glauben und in der Folge eine Kapelle errichten – an Ort und Stelle, mit den gesammelten Eintrittskarten und der Fußpilzcreme als Reliquienschatz.

Einige Hallen sind derzeit gesperrt, damit die ersten Millionen des Sanierungsprogramms verbaut werden. Engpässe versuchen die BBB durch neue Schwimmzeiten in anderen Hallen auszugleichen. So dürfen Frühschwimmer in die Hallen an der Forckenbeckstraße und am Hüttenweg, die sonst nur Schulen und Vereinen vorbehalten sind.

Auch wenn es die Bäderbetriebe ihren Stammgästen nicht leicht machen: Sie kommen immer wieder. Weil ihre Leidenschaft sie treibt. Und wenn einem dann noch eine seltene freie Bahn, womöglich in einem 50-Meter-Becken, zuteilwird, ist das Glück perfekt. Was will man mehr?

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