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© David Heerde

AUFTRAGSKUNST: Kopfarbeit

15 Künstler haben sich zur Agentur „Berliner Sippschaften“ zusammengeschlossen. Auf Wunsch bekommt hier jeder sein Porträt in Öl, Bronze oder als Foto. Auch zu Weihnachten.

Das Kinn ein bisschen höher, Ulf. Und etwas netter gucken, Ulf. Bitte. Der Mann tut sein Bestes: „Ich würde ja gerne. Ist nur gar nicht so einfach, nett zu gucken.“

Seit 20 Minuten sitzt Tomma Grau ihrem Modell gegenüber, malt vor sich hin, schaut abwechselnd zu Ulf und auf ihre Leinwand, gibt Anweisungen, die nicht immer freundlich klingen. Aber egal: Auf das Ergebnis kommt es an. Tomma Grau malt auf Bestellung, wie ihre 14 Kollegen von der Agentur „Berliner Sippschaften“. Wer sich selbst, seinen Partner oder Verwandte verewigt haben will, kann bei den Sippschaften anrufen und einen der Künstler auswählen – je nachdem, was gewünscht wird: Tomma Grau hat sich auf Porträts in Acryl auf Leinwand spezialisiert, Eva Licht benutzt auch gerne Öl und manchmal Blattgold, Bernd Pohlenz zeichnet Karikaturen. Auch ein Bildhauer gehört zur Sippschaft: Bertold Grether fertigt Porträtbüsten samt Sockel an, die kann man sich wunderbar zu Hause auf den Schreibtisch stellen. Und mit Moritz Reichelt hat das Team sogar einen eigenen Documenta-Künstler.

Die Berliner Sippschaften haben einen Showroom in der Lützowstraße in Tiergarten angemietet, hier können sich Neugierige Probearbeiten der Künstler ansehen und dann entscheiden, welcher für sie der Beste wäre. Das nächste Treffen findet dann im jeweiligen Atelier statt. Tomma Grau etwa arbeitet in einem Künstlerhaus in Weißensee. Rund 40 Stunden dauert es, bis ein Gemälde fertig ist, sagt sie. Aber das eigentliche Modellsitzen dauert nur kurz, danach greift die Malerin auf Fotos zurück. „Wer hat heute schon so lange Zeit, still zu sitzen und sich malen zu lassen?“ Ulf, ihrem heutigen Kunden, fällt das zusehends schwerer. Seine Lebensgefährtin hat ihm zum Geburtstag einen Gutschein für die Sitzung geschenkt. Ob das Ergebnis dann später in den Flur, die Küche oder das Schlafzimmer soll, hängt auch davon ab, wie es am Ende aussieht, sagen beide. Da hat Tomma Grau genaue Vorstellungen: „Bei mir zählt jede Hautpore. Und jedes Nasenhaar und jedes kleine Äderchen, das mein Modell im Gesicht mit sich trägt.“ Denn genau das, die kleinen Unperfektheiten, machten später ein Gemälde erst lebendig. „Auch kleinste Haare, die aus den Ohren rauswachsen, können helfen, dass ein Gemälde mit unglaublicher Präsenz entsteht.“ Neorealistisch nennt sie ihre Arbeiten.

Die Idee zu den Sippschaften hatte Anne Ellinghaus. Die Frau kommt eigentlich aus der Musikbranche, hat früher Künstler wie Die Ärzte oder International Pony betreut. Mit ihrem Bruder Christoph betrieb sie das Berliner Musiklabel Cityslang, aber „das hat nicht so richtig geklappt, Bruder und Schwester zusammen“, sagt sie. Dann kam ihr eines nachts der Gedanke an eine Gruppe von ambitionierten Künstlern, die sich gegenseitig ergänzen und für Geld Porträts malen. Am nächsten Morgen hatte sie schon sechs Seiten Konzept geschrieben. Ellinghaus selbst hat sich auch bereits verewigen lassen, von der Sippschaften-Künstlerin Tina Winkhaus. Auf dem Bild sieht man Ellinghaus mit ihrem Mann, Sohn und Hund mitten in einem finsteren Wald. Das wirkt ein bisschen gruselig, aber Ellinghaus gefällt’s. Es hängt jetzt zu Hause über dem Kamin.

Wie viel ein Werk kostet, hängt vor allem von der aufgewendeten Zeit der Künstler ab. Mit 500 Euro muss man rechnen, nach oben gibt es keine Grenzen, sagt Ellinghaus. „Eine 15-köpfige Festgesellschaft in Öl, da möchte ich nicht wissen, wie teuer das wird.“ Beschwert hat sich bisher noch niemand. Doch, eine: Eine Frau ließ sich im Brautkleid malen. Und hinterher war ihr das Kleid zu knapp. War aber nicht so schlimm.

Der Showroom in der Lützowstraße 92 ist mittwochs von 11 bis 19 Uhr sowie nach Absprache geöffnet. Kontakt: 69 58 23 70 oder www.berliner-sippschaften.de.

Sebastian Leber

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