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KISS

© dpa

Auftritt der Woche: KISS in Berlin: Schrecken ohne Ende

Vor KISS-Konzerten wie am Montag im Velodrom greifen auch Fans gerne zur Schminke. Nur an die Zungenlänge von Sänger Gene Simmons kommen sie wohl nie heran. Für das Konzert gibt es noch Restkarten an der Abendkasse.

Meist waren es die bösen Buben der Klasse, die Schwänzer, Pausenraucher, Langhaarträger, auf deren Rucksäcken mit schwarzen Filzerblut geschrieben das eine magische Wort stand: KISS. Es war die Sorte Typ, die man immer ein wenig fürchtete und mehr noch heimlich bewunderte. Wer in den siebziger Jahren den Bandnamen mit den beiden S in Runenform trug, signalisierte den Normalos damit die Zugehörigkeit zu einer geheimnisvollen Gemeinschaft: der KISS-Army.

Durch ihre pyrotechnisch aufwändigen Shows erschienen die vier Mitglieder der Band wie Herrscher über das Feuer – was machte es schon, dass mal ein Kostüm oder eine Haarpracht in Flammen aufging? Gene Simmons, Paul Stanley, Ace Frehley und Peter Criss schienen halb Menschen, halb Dämonen zu sein, bis zur Unkenntlichkeit maskiert, dem Herzen der Finsternis entstiegen oder einer fernen Galaxie entflogen. Seit ihrem ersten Auftritt unter dem Namen KISS am 30. Januar 1973 vor drei zahlenden Zuschauern im New Yorker „Popcorn Club“ bis zum heutigen Status einer der erfolgreichsten Bands aller Zeiten war es ein langer, kunstblutbefleckter, mit Konfetti übersäter Weg auf wackeligen Plateausohlen.

An dessen vorläufigem Ende stand vor wenigen Tagen der offizielle Eintritt von US-Außenministerin Condoleezza Rice in die noch heute riesige Fangemeinschaft der KISS-Army. Und eine erneute Abschiedstournee, die KISS morgen nach Berlin führen wird, zum letzten Mal vielleicht. Allerdings: Vielleicht auch nicht. Denn wer wird sicher sagen können, ob sich in zehn Jahren tatsächlich noch die Ur-Küsser hinter den Masken verbergen? Schon heute agieren Eric Singer am Schlagzeug und Tommy Thayer an der Gitarre in den Kostümen von Criss und Frehley quasi als deren Doubles. Eine Casting-Show zur Nachwuchssuche hatte Simmons kürzlich schon angekündigt. Da es bei dem discokompatiblen Hartgummi-Rock (keine Ü30-Party kommt ohne „I was made for loving you“ aus) nie um herausragende gesangliche oder musikalische Qualitäten ging, dafür aber um so mehr um das ewige Jugend verheißende, initiatorische Ur-Krach-Bumm-Erlebnis mit Feuerschweif, fiele eine solche Umbesetzung akustisch den wenigsten auf.

Das Gerücht mit der Kalbszunge

Allenfalls die Zungenlänge des Bassisten gäbe den entscheidenden Hinweis. Nein, die Gerüchte, der ehemalige Grundschullehrer Simmons habe sich eine Kalbszunge implantieren lassen, um noch besser das tun zu können, was als mimischer, lausbubig-obszöner KISS-Code seit Mitte der Siebziger um die Welt ging, haben sich nie verifizieren lassen. Bereits als jugendlicher 100-Kilo-Horrorfilmfan in New York soll er seine Mitschüler mit seinem überlangen Schmeck-und-Leck-Muskel erschreckt haben.

Das Gesamtkonzept KISS und seine Vermarktung funktionierte später überaus erfolgreich. Herauszufinden, ob eine Sache eigentlich zum Fürchten oder zum Lachen ist, kann den Einsatz von viel Zeit, Energie und Geld rechtfertigen. Über 100 Millionen Dollar soll die Band 1980 allein mit Merchandising-Artikeln umgesetzt haben. Der Erwerb der Bravo-StarschnittPoster fürs Jugendzimmer war noch günstig, teurer waren 1977 schon die zwei KISS-Comicbände bei Marvel, deren rote Farbe das echte Blut aller Mitglieder enthalten sollte. Es gab auch Flipperautomaten mit dem Band-Konterfei, Brettspiele, Miniaturpuppen und natürlich Masken und Make-up, um sich im Stile der Band verkleiden zu können. Bis heute tun das auf den Konzerten etliche Fans. Männer zwischen 40 und 60 liebäugeln meist als Simmons-look-alike wieder mit dem (heutige Muttis kaum mehr schockenden) „Bösen“. Die mitgebrachten Frauen schminken sich lieber als „Starchild“ Paul Stanley – auch Aliens können sexy sein.

KISS. Montag im Velodrom, Paul-Heyse-Straße 26. 20 Uhr. Restkarten an der Abendkasse.

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