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Feindbilder. Bei einem Treffen in der privaten Galerie von Gabriele Stötzer (2.v.l.) 1981 in Erfurt, in der unangepasste Künstler ausstellten, fotografierte die Stasi und kennzeichnete die anwesenden Personen.

© BStU

Ausstellungseröffnung: Von Spitzeln und Bespitzelten

Am Sonnabend wird die neue Dauerausstellung „Stasi“ eröffnet. Sie ist deutlich kleiner als ihre Vorgängerin an der Französischen Straße und bleibt eine Übergangslösung, bis ein größerer Standort gefunden ist.

Von Matthias Schlegel

„Teilnehmer X reiste in Sotschi mit einer kurzen Hose in den Farben schwarz- rot-gold an. Das Tragen genannter Hose fand Anstoß bei vielen Reiseteilnehmern.“ Was aus dem jungen Mann aus der DDR-Reisegruppe geworden ist, bleibt im Dunkeln. Die Anschwärzung aber, die die Inoffizielle Mitarbeiterin (IM) „Ivelina“ am 29. September 1986 dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) übermittelte, ist erhalten. Sie ist eines von 57 Text- und weiteren 48 Bilddokumenten, 26 gegenständlichen Exponaten und Ausschnitten aus neun historischen Filmen, die in der neuen Dauerausstellung der Stasiunterlagenbehörde zu sehen sind.

Rund 91 000 hauptamtliche und 189 000 inoffizielle Mitarbeiter arbeiteten 1989 für das MfS. Es griff massiv in die Lebensläufe von Millionen Menschen ein. Überliefert sind 111 Kilometer Aktenbestände, 34 000 Film- und Tondokumente, 1,4 Millionen Fotos, 39 Millionen Karteikarten und mehr als 15 000 Säcke mit zerrissenen Unterlagen. Gemessen an der Wucht dieses Erbes ist diese Ausstellung ernüchternd klein. Sie trägt schlicht den Namen „Stasi“. Ein Begriff, der nach den Worten von Marianne Birthler, der Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen, „zum Synonym für alle Geheimpolizeien der Welt geworden ist“.

Kein Geringerer als Bundespräsident Christian Wulff wird am Sonnabend diese gerade einmal 260 Quadratmeter große Exposition in einem Altbau aus dem 19. Jahrhundert in der Zimmerstraße 90/91 eröffnen. Das wird weniger die Würdigung eines weiteren kulturpolitischen Highlights in der Bundeshauptstadt sein. Vielmehr wird Wulffs Besuch das Bekenntnis vermitteln: Die Darstellung von Wesen und Wirkung des 1989 überwundenen SED-Regimes, das sich der Staatssicherheit als „Schild und Schwert“ bediente, bleibt eine erinnerungspolitische Aufgabe ersten Ranges.

Ausstellungskuratorin Gabriele Camphausen sagt, dass die „Verdichtung und Konzentration des Themas bis zum Äußersten“ eine große Herausforderung für die Gestalter gewesen sei. Behördenchefin Birthler ergänzt, diese Ausstellung solle „keine Gedenkstätte und kein Museum, sondern ein Lernort sein“. Doch die Bescheidenheit der Schau begründet sich vor allem daraus, dass sie nur eine Übergangslösung ist. Musste die deutlich größere Vorgängerausstellung in der Französischen Straße aus baupolizeilichen Gründen im April 2010 geschlossen werden, richten sich die Hoffnungen nun auf den geplanten endgültigen Standort einer Stasi-Dauerausstellung: im Haus I, dem einstigen Dienstsitz von Stasi-Chef Erich Mielke, in der Lichtenberger Normannenstraße. Das Gedenkstättenkonzept des Bundes sieht vor, dass sie dort nach umfangreicher Gebäudesanierung einen endgültigen Platz finden soll. Das kann noch Jahre dauern. Was jetzt in der Zimmerstraße zu sehen ist, könnte der Kern der späteren, erweiterten Ausstellung sein.

Blickfang sind die von der Decke herabgelassenen sieben begehbaren Rotunden. Jede von ihnen widmet sich dem Schicksal eines von der Staatssicherheit bedrängten DDR-Bürgers. Etwa dem von Hermann Josef Flade. Als 18-jähriger Oberschüler aus dem erzgebirgischen Olbernhau wurde er im Oktober 1950 nachts von zwei Polizisten gestellt, als er Flugblätter gegen die undemokratischen Wahlen in der DDR verbreitete. Weil er sich wehrte und einen Polizisten mit seinem Taschenmesser verletzte, wurde er in einem Schauprozess vor mehr als 800 Einwohnern im Olbernhauer Ballhaus „Tivoli“ zum Tode verurteilt. Später fiel er unter eine Amnestie und setzte sich in die Bundesrepublik ab.

Ganz unpolitisch war die Absicht von Burkhard Herzel aus dem brandenburgischen Kirchmöser. Er fuhr als 17-Jähriger am 7. Oktober 1969, als in Berlin die Jubelfeiern zum 20. Jahrestag der DDR zelebriert wurden, in die Hauptstadt. Denn es ging das Gerücht um, die Rolling Stones würden auf dem Dach des Springer-Hochhauses ein Konzert geben. Er wurde von der Stasi als „Störenfried“ festgenommen.

In neun Kapiteln wird in tischhohen Schaukästen die Geschichte des Ministeriums für Staatssicherheit dargestellt. Werdegänge von hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeitern werden geschildert, die Westarbeit der Stasi beleuchtet. Verschiebbare Tafelwände zeigen dann den Einfluss der Staatssicherheit auf das Alltagsleben der DDR-Bürger. Ob am Arbeitsplatz, auf Reisen oder beim Sport – die Stasi war immer dabei. Eine Zeichnung zeigt die genaue Sitzordnung der knapp zweitausend Stasi-Leute, die sich beim Uefa-Cup-Rückspiel zwischen Dynamo Dresden und dem Hamburger SV am 11. Dezember 1974 im Dresdner Dynamo-Stadion unter die 28 000 Zuschauer mischen sollten. Birthler nennt es eine „Scheindebatte“, die Darstellung des DDR-Alltags als Gegenteil seriöser Aufarbeitung zu betrachten. Die Ausstellung mache deutlich, „dass auch der Alltag permanent durchleuchtet wurde“.

Ergänzt wird das Angebot durch ein Bildungszentrum mit einem Archiv, PC-Arbeitsplätzen und Vortragsräumen. So wäre die Ausstellung an der von Touristen stark frequentierten historischen Meile zwischen Topographie des Terrors und Checkpoint Charlie eigentlich ein großer Gewinn für die Erinnerungslandschaft in Berlin – haftete ihr nicht schon von Beginn der Makel des Provisoriums an.

Die Stasiunterlagenbehörde lädt am Sonnabend von 14 bis 18 Uhr zu einem Tag der offenen Tür mit zahlreichen Veranstaltungen in die Ausstellung ein. Der Katalog ist an diesem Tag für 10 Euro zu haben, danach kostet er 12 Euro. Öffnungszeiten sind Montag bis Samstag 10 bis 18 Uhr. Der Eintritt ist kostenlos. www.bstu.de

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