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Hoher Besuch. Der damals zehnjährige Julius Markschiess (vorne im gelben Hemd) stand direkt neben Chaplin. Das Bild wurde nachträglich koloriert.

©  Archiv Markschiess-van Trix

Begegnung vor achtzig Jahren: Der kleine Star neben Charlie Chaplin

Vor 80 Jahren besuchte der britische Komiker Berlin. Julius Markschiess war damals ein Kind – und lief ihm zufällig über den Weg.

Charlie? Klar kannte er Charlie. In jeder Flohkiste liefen doch dessen Filme, und an diesem Dienstag, dem 10. März 1931, überschlugen sich die Berliner Zeitungen fast, um noch das kleinste Detail des überraschenden Besuchs von Charlie Chaplin einzufangen und ihren Lesern brühwarm zu servieren. Das bekam auch ein zehnjähriger Junge wie Julius Markschiess mit, wenngleich er der Welt der Stars denkbar fern stand. Seine Mutter geschieden, als Putzfrau bei der städtischen Kriegsopferversorgung in der Waisenstraße in Mitte angestellt – kein leichtes Leben. Er holte sie oft dort ab, spielte mit den Kindern des Viertels auf der ruhigen Seitenstraße Fußball, so wohl auch an dem Tag, als er Chaplin traf.

Am morgigen Freitag beginnt im Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz das mehrwöchige Festival „Chaplin Complete“. Mit ihm wird an den Berlin-Besuch Charlie Chaplins vor 80 Jahren erinnert, der auch Thema einer parallelen Ausstellung im Foyer des Kinos ist. Freitagabend wird „Der große Diktator“ gratis auf dem Pariser Platz gezeigt. Es dürfte nicht mehr viele Menschen geben, die damals in Berlin den anfangs überbordenden Jubel, dann die Instrumentalisierung Chaplins als Objekt im politischen Grabenkampf miterlebt haben. Julius aber, heute 90 Jahre alt, erinnert sich noch gut an seine Begegnung mit Chaplin. Er ist auch zum Festival eingeladen, wie er erzählt, wird dort sicher Ehrengast Geraldine Chaplin, Charlies Tochter, begrüßen können und will sie dann, wie er mit einem Grinsen verspricht, erst mal umarmen.

Dass Chaplin ausgerechnet in der Waisenstraße auftauchte, war Programm. Anlass für seinen Berlin-Besuch war der bevorstehende Start seines Films „Lichter der Großstadt“. An Berlin interessierte ihn aber weniger die Reklamearbeit als die Stadt selbst. Er besuchte einige Kulturstätten, etwa die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, wo er Hans Albers in seiner Garderobe beehrte – das nahe Kino, in dem jetzt seine Filme laufen, dürfte er im Vorbeifahren registriert haben. Besonders viel lag ihm an Orten, die einen Einblick in die sozialen Verhältnisse Berlins ermöglichten. Und einer dieser auserwählten Orte lag ausgerechnet in der Waisenstraße, wo der kleine Julius nichtsahnend spielte.

„Gegenüber fuhr plötzlich ein schwarzer Riesenwagen vor“, erzählt Markschiess-van Trix, der den Künstlernamen seiner früheren Artistenlaufbahn verdankt. Dem Wagen entstiegen eine Reihe nobel gekleideter Herren, mittendrin Charlie. Aber es war nicht der Tramp, den Julius und seine Freunde aus dem Kino kannten, vielmehr ein grauhaariger, glattrasierter Herr mit Mantel, Stock und Hut, der erstmal im flachen Vorbau eines nahen Gebäudes verschwand. „Das war ein Veranstaltungsort des Stadtbezirks. Dort trafen sich Jugendverbände, etwa die Roten Falken der SPD“, erinnert sich Markschiess-van Trix. „Chaplin hatte doch eine schwere Jugend und wollte nun wissen, wie es der Jugend in Deutschland geht.“

In bester Erinnerung. Heute ist Julius Markschiess 90 Jahre alt. Beim jetzt beginnenden Chaplin-Festival will er Charlies Tochter begrüßen.
In bester Erinnerung. Heute ist Julius Markschiess 90 Jahre alt. Beim jetzt beginnenden Chaplin-Festival will er Charlies Tochter begrüßen.

© privat

Das habe er Chaplin dann auch erzählt, jedenfalls soweit ihm dies mit seinen zehn Jahren möglich gewesen sei. Rasch hatten sich die Kinder um den Wagen versammelt, ihn ehrfürchtig betastet – und dann Chaplin empfangen, als er mit seinen Begleitern wieder aus dem Gebäude kam. Zum Glück war ein Dolmetscher dabei, so entspann sich rasch ein kleines Gespräch, über die Chaplin-Filme, die die Kinder gesehen hatten – und eben über ihr Leben in Berlin. Von Scheu vor dem Star keine Spur: „Ich habe nie Angst vor großen Tieren gehabt“, versichert Markschiess-van Trix. Er war ja auch schon früh selbstständig, half seiner Mutter, wo er konnte, kaufte ein, verkaufte Zeitungen, verteilte Flugblätter, bediente die Rohrpost im Ballhaus Resi – wie sollte er da Angst vor einem so freundlichen Herren wie Chaplin haben?

Die zufällige Begegnung mit dem Tramp hat dann die Begeisterung der Kinder für Chaplin mächtig angefacht. Alle haben sie Bilder gesammelt, Informationen ausgetauscht und keinen seiner Filme verpasst, solange sie noch gezeigt wurden. Diese Sammelleidenschaft ist geblieben, richtete sich später aber auf die Artistik, der sich Julius Markschiess, nun als Jonny Markschiess-van Trix, verschwor – erst selbst als Aktiver, der sogar im Krieg an der Ostfront von seiner Leidenschaft nicht lassen konnte und ein Soldatentheater gründete. Ein Sturz vom Trapez beendete 1946 diese Laufbahn, doch der Welt von Varieté und Zirkus blieb er treu. Er wurde Werbeleiter und Archivar des Friedrichstadtpalasts, Claire-Waldoff-Chronist, Gründer der Berliner Artistenschule wie auch der „documenta artistica“ des Märkischen Museums. Noch heute hat er in seiner Wohnung auf der Fischerinsel zahlreiche Dokumente zur Artistikgeschichte gesammelt – und natürlich auch das schwarzweiße, später kolorierte Foto, das am 10. März 1931 in der Waisenstraße entstand: der kleine Julius und der große Charlie, Seite an Seite.

„Chaplin Complete“, 15. Juli bis 7. August. Babylon, Rosa-Luxemburg-Platz. Karten unter www.babylonberlin.de oder unter Telefon 242 5969. Am 15. Juli, 22 Uhr, wird auf dem unbestuhlten Pariser Platz gratis „Der große Diktator“ gezeigt.

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