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Edisonstraße in Oberschöneweide: Weltkultur im Wartestand. Peter Behrens entwarf die AEG-Hallen in der Edisonstraße in Oberschöneweide.

© Thilo Rückeis

Berliner Lebensadern (9): Edisonstraße: Ick bin für die Beladenen da

Straßen erzählen Geschichten. Stadtgeschichten, Kiezgeschichten, Lebensgeschichten: Über die Edisonstraße in Oberschöneweide rumpelte einst der "Bulle". Nun gibt es Pläne für eine neue Trasse.

Von David Ensikat

Im Mai ist in Oberschöneweide ein Auto im Erdboden versunken. Erstaunlich war das nicht: Ein Wasserrohr war schuld. Viele Wasserrohre unter den Oberschöneweider Straßen stammen aus der Zeit, in der hier Straßen, Häuser und Kanalisation entstanden. Hundert Jahre ist das her, und hundert Jahre, so heißt es, halten solche Rohre. Dieses eine ist also planmäßig zerborsten, das Wasser spülte die Erde unter der Siemensstraße fort, so lange, bis das jemand merkte, weil der Asphalt aufbrach und das Auto plötzlich weg war.

Menschen kamen nicht zu Schaden, die Versicherung hat das Auto bezahlt, die Wasserbetriebe brauchten zwei Wochen, um das Rohr zu reparieren. Also darf man sagen: Die Sache war ein großes Glück, für die Edisonstraße jedenfalls.

Denn dass die Edisonstraße wohl zu den schlimmsten Straßen dieser Stadt gehört, liegt am Verkehr, und so lange die Siemensstraße wegen der Rohrarbeiten gesperrt war, ruhte auch der Verkehr in der Edisonstraße. Zwei Wochen Ruhe, Anwohner öffneten ihre Fenster nach vorne raus, sie unterhielten sich auf offener Straße, sie konnten die Straße sogar jenseits der Ampeln überqueren.

Natürlich wuchs nichts Grünes, dafür war die Zeit zu knapp. Die Straße blieb so kahl, wie sie schon immer war. Dennoch waren die paar Tage ein Ausblick auf die ferne Zeit, in der die Edisonstraße ganz zu sein wird für alle Autos oder wenigstens „verkehrsberuhigt“. Der Ost-WestVerkehr soll dann umgeleitet werden über eine neue Trasse mit dem hübschen Namen „Tangentiale Verbindung Ost“. Und obgleich noch viele Jahre bis dahin vergehen werden, gibt es längst eine Abkürzung: TVO.

Abkürzungen mit O am Ende sind gängig in Oberschöneweide, beziehungsweise sie waren es: Es gab hier mal die KLO, Karl-Liebknecht-Oberschule, das KWO, Kabelwerk Oberspree, sowie das TRO, Transformatorenwerk Oberspree.

So wie ganz Oberschöneweide einst geprägt war von den O-Werken, so war es die Edisonstraße. An ihrem Anfang befand sich das TRO, einst AEG, heute „Rathenau-Hallen“, provisionsfrei zu vermieten unter 030 – 7790 3020. Die meisten Leute, die in der Gegend wohnten, arbeiteten dort, die Industriebahn, die neben der Straßenbahn und den damals noch viel lauteren Autos auf- und abfuhr, verband die Werke mit dem Bahnhof Rummelsburg.

Für Kinder war diese Bahn, „Bulle“ genannt, eine große Attraktion. Sie fuhr im rumpelnden Schritttempo die Straße entlang, zog Hänger mit riesengroßen Kabeltrommeln und tonnenschweren Transformatoren, und einer der beiden Fahrer sprang vor jeder Kreuzung ab, lief vor und hielt mit seiner schmutzigroten Fahne die Autos an. Dann sprang er schwungvoll wieder auf den Bullen, und alle Kinder, die nicht Feuerwehrmann werden wollten, wollten Bullenfahrer werden.

Das gibt es alles längst nicht mehr, aber Foto Wollermann gibt es noch. Der Laden ist einer von dreien, die die letzten zwanzig Jahre auf der Edisonstraße überdauert haben. Carola Wozniak arbeitet hier, weil sie noch nie woanders gearbeitet hat, sie entwickelt, wenn Kunden das wünschen, auch noch Schwarzweißfilme, und sie findet, dass es früher auf keinen Fall schlechter war. All die TRO- und KWO-Arbeiter, die hier langliefen und sich in Schlangen vor dem Landen einfanden! Gut, wenn der Bulle vorbeifuhr, konnte man keine Fotoarbeiten machen, weil das Haus wackelte und die Bilder unscharf wurden. Und die Fassaden waren grau und noch viel dreckiger als heute. Aber überall gab’s richtige Geschäfte und nicht nur solche Ramschläden wie inzwischen. Obwohl, das muss Frau Wozniak auch sagen: „Die Gegend ist schon attraktiv. Von der Sache her.“ Das sagen alle Leute hier: Die Edisonstraße mag furchtbar sein, aber Oberschöneweide doch nicht. Nach hinten raus ist es ganz ruhig.

Neben Wollermann verkauft eine freundliche Vietnamesin Dinge, die so bunt wie billig sind, gegenüber in der „Kleinen Kneipe“ kostet das Bier 1,50 vom Fass und einen Euro aus der Flasche. Jürgen Buchholz hat die Kleine Kneipe letztes Jahr übernommen, „jenau zu Weihnachten, weil dit mein Konzept is’: Ick bin für die Beladenen da.“ Bei ihm dürfen sie auch rauchen, weil er nur 35 Quadratmeter hat und kein Essen verkauft. Deshalb ist die Luft in der Kleinen Kneipe noch schlechter als draußen auf der Straße. Die Tür bleibt selbstverständlich zu, sonst könnte man die RS2-Musik nicht hören und auch nicht die Späße der Beladenen: „Ick bin EU-Rentner. Verstehste? EU! Erwerbsunfähig!“ Jürgen Buchholz hatte vorher einen Imbiss auf dem Parkplatz vor Rewe und Aldi um die Ecke.

Da war es ihm im Winter zu kalt „Und außerdem hat Aldi zugemacht, und mir is’ die ganze Kaufkraft weggebrochen.“ Die Kneipe an der Edisonstraße hat er sich nicht wegen der Lage ausgesucht, sondern weil sie gerade frei war und weil er gerne mal was Neues macht. Außerdem kennt er sich aus in der Gastronomie: „Zum Beispiel dit mit dem Anschreiben. Ohne dit kannste hier gleich zumachen. Musste einfach machen. Sogar der Dönertürke vorne an der Ecke lässt anschreiben. Da hat der sich voll der deutschen Mentalität angepasst, sag ich mal.“

Ein anderer Mann, der Hoffnungen in die Straße steckt, ist Daniel Brüning, ein Bulgare, der vor zwei Jahren ein kleines Haus irgendwo in Berlin suchte und für 100 000 Euro ein sehr großes fand, hier an der Edison. Er hat es ausgebaut, alles was er konnte, selbst, und jetzt besitzt er eine große Pension, „Edison 13“, „Schulden, bis ich 70 bin“ und eine hohe Meinung von der Gegend: „Das hier ist das neue Prenzlauer Berg!“

Ob man es glaubt oder nicht, sein Haus ist ausgebucht. Vor allem Bauarbeiter wohnen hier und genießen den ruhigen Hinterhof. Die Zahl auf dem Prospekt, „Zimmer ab 10 €“, stimmt zwar nicht mehr, inzwischen müsste da eine 11 stehen, aber preismäßig ist das hier schon sehr viel attraktiver als Prenzlauer Berg.

Die Edisonstraße: am einen Ende die Brücke über die Spree und die lange nicht mehr grauen, dafür leeren Industriehallen, am anderen die Wuhlheide, wo einst die Russenkasernen standen. Die Gegend ist wirklich nicht so furchtbar wie ihr Ruf. Jetzt müssen sie nur noch die TVO bauen, die Edisonstraße zumachen und Bäume hineinpflanzen, und schon wird niemand mehr von „Schweineöde“ reden.

Bisher erschienen: Oranienstraße (13. 7.), Motzstraße (16. 7.), Schiffbauerdamm (20. 7.), Bergmannstraße (23. 7.), MartinLuther-Straße (27. 7.), Sybelstraße (30. 7.), Immanuelkirchstraße (3. 8.) und Schillerpromenade (6. 8.).

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