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Bilderflut im Wellenbad: Sportzentrum SEZ wird zum Kunstort

Ein Teil des 30 Jahre alten SEZ wird zum Kunstort. Als Erster hat der Maler Johannes Heisig dort ein Atelier bezogen.

„Waren Sie früher öfter hier?“ Johannes Heisig blickt erstaunt und etwas ratlos. Vielleicht erscheint dem Maler die Frage zu banal. Tatsächlich mag er es nicht – das gibt er später zu –, persönliche Anekdoten zu erzählen. Aber dann antwortet der schlanke, groß gewachsene 58-Jährige doch. Ja, einmal sei er mit seinen Kindern im Sport- und Erholungszentrum gewesen, genau einen Tag nach dem Mauerfall. Sie sei schön gewesen, die große menschenleere Wasserlandschaft des SEZ, vor dessen Türen die Ost-Berliner oft Schlange standen, um zum Bowling oder Eislaufen, in die Sauna oder ins Wellenbad zu kommen. „Es war, als seien an diesem Tag alle anderen in West-Berlin.“

Fast 22 Jahre ist das her. Nun hat Heisig in dem leer stehenden Trakt des teilweise wieder als Sportzentrum genutzten SEZ ein temporäres Atelier bezogen. In der Langen Nacht der Museen am 27. August findet hier zu 17 Zeichnungen Heisigs eine Lesung des Gedichtzyklus „Crow“ des englischen Dichters Ted Hughes statt, inszeniert als eine Art Performance, unter Mitwirkung des Regisseurs Wolfgang Krause Zwieback und des Filmkomponisten Henning Lohner. Die Ausstellung der großformatigen „Krähe“-Zeichnungen ist danach bis Mitte Oktober im SEZ zu sehen. Unter dem Titel „Übergänge“ läuft sie parallel zu zwei weiteren Ausstellungen Heisigs im Willy-Brandt-Haus in Kreuzberg und in der Galerie Son in Mitte.

Heisig, gebürtiger Leipziger, früherer Rektor an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden und ältester Sohn des im Juni verstorbenen Malers und Repräsentanten der DDR-Kunst Bernhard Heisig, ist der erste Künstler in dem orangefarbenen Gebäudekomplex in Friedrichshain an der Ecke Danziger Straße/Landsberger Allee. 1981 eröffnet, war das riesige, multifunktionale Sport- und Freizeitzentrum ein Prestigeobjekt der DDR-Führung, das weltweit seinesgleichen suchte und bei den Ostbürgern sehr beliebt war. Nach der Wende begann der Niedergang: Das Land Berlin gab keine Mittel für dringend notwendige Sanierungsarbeiten frei, und so wurde das Sportangebot sukzessive eingestellt, bis Ende 2002 Schluss war. Für einen Euro kaufte dann 2003 der Leipziger Investor Rainer Löhnitz das stark sanierungsbedürftige Gebäude und belebte einen Teil davon erneut als Sportzentrum. Heute wird hier wieder gesaunt und Badminton, Bowling, Tischtennis sowie Volleyball gespielt. Allerdings kritisieren CDU und FDP im Abgeordnetenhaus, dass Löhnitz die früheren Bademöglichkeiten nicht wiederhergestellt habe. So besteht der vertraglich vereinbarte Hallenbadbetrieb in einem Plansch- und einem Gymnastikbecken, und im einst so gut besuchten Wellenbad wird Badminton gespielt. „Die Auflagen vom Liegenschaftsfonds lassen mir in allen wirtschaftlichen wie strukturellen Entscheidungen freie Hand“, sagt Löhnitz. Es habe nie die Verpflichtung zur kompletten Reaktivierung des Badebetriebs bestanden, da diese auch nie hätte wirtschaftlich sein können.

Nun möchte Löhnitz also in dem an kulturellen Angeboten nicht eben sehr reichen Kiez parallel zum Sportangebot eine Stätte für Kunst und Kultur entwickeln. „In einer konstruktiven Zusammenarbeit zwischen klassischem Handwerk, Hightech und Kunst“, sagt der 48-Jährige vage. Er hat Visionen von einer langen Freiluftgalerie für junge Künstler und von riesigen Ausstellungsflächen mit Blick auf die Sportanlagen. Derzeit liegt der infrage kommende Gebäudeteil aber noch im Dornröschenschlaf. „Der Ort kann sich seine Verschlafenheit leisten“, erklärt Löhnitz, während er an Bauschutt und am leeren Foyersaal vorbeigeht, in dem zu DDR-Zeiten Kleinkunst und ein Schachclub zu Hause waren. „Dieses zum Repräsentieren erbaute Objekt zu erhalten, aber nichts Triviales daraus zu machen – das ist mein Ziel“, sagt er. Dafür scheut er auch ungewöhnliche Ideen nicht: Im nächsten Jahr will er in der ehemaligen Eissporthalle einen Reitbetrieb eröffnen. Seit vier Jahren lässt Löhnitz dafür im Fläming 25 Haflingerpferde ausbilden.

In Heisigs Atelier mit Blick auf die geplante Reithalle wurde früher Kampfsport getrieben. Heute hängen in dem achteckigen Raum die „Krähe“-Zeichnungen: Annäherungen an Liebe, Tod und Gott, die Grundfragen menschlichen Seins. Auf einem Tisch steht ein Schachspiel, an der Wand hängt das Beckett-Zitat „Ich bin nicht unglücklich genug. Das war immer mein Unglück.“ Ob das auch auf Heisig zutrifft? Leicht gemacht hat er es sich als Sohn des berühmten Vaters jedenfalls nie. 2008 hat er den Werkzyklus „Es war einmal. Bilder vom Erinnern, den Erinnerungen und dem Innern“ geschaffen, der sich mit der deutschen Teilung auseinandersetzt. Die neue Ausstellung im Willy-Brandt-Haus ist eine Fortsetzung dieser Arbeit, die sich nun dem wiedervereinten Berlin widmet. „Ich mag die Unfertigkeit und Polyfonie der Stadt, aber ich möchte hier heute nicht als junger Künstler starten“, sagt Heisig. Der Druck, unter dem der Nachwuchs stehe, sei enorm: „Manche Galerien gehen in die dritten Semester der Kunsthochschulen und suchen dort schon ihren nächsten Star.“ Da sei keine Zeit mehr für langsames Wachsen und Reifen. Genau für so etwas könne im SEZ ein Ort entstehen, hofft Heisig. Die Räume dafür sind da, Visionen auch. Fehlt, so scheint es, noch ein klares Konzept.

SEZ, Landsberger Allee 77, „Krähe“-Lesung, 27.8., 22 und 24 Uhr. Kombiticket 15 Euro. 29.8.-16.10. Führungen durch die Ausstellung (Sa/So 15 Uhr, andere Termine über Galerie Son, Tel. 53 79 97 03. Heisigs weitere Ausstellungen: 23.8.-16.10. im Willy-Brandt-Haus, Wilhelmstraße 140 (www.willy-brandt-haus.de) und 27.8.-22.10 in der Galerie Son, Mauerstraße 80 (www.galerie-son.com)

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