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Bollywood: Berliner Delhikatessen

Bollywood-Star Shah Rukh Khan wird in der Stadt von Fans verfolgt. Aber was machen die 2500 Inder, die hier leben?

Am Dienstag standen sie auf dem Alexanderplatz, den Blick zum Himmel gerichtet. Was auf dem Dach des Park-Inn-Hotels geschah, war nicht genau zu erkennen. Aber den Fans und Schaulustigen reichte es zu wissen, dass Shah Rukh Khan dort oben stand, um eine Szene für seinen Film zu drehen. In der Hoffnung auf ein kurzes Treffen mit dem Star harrten sie zum Teil mehrere Stunden aus.

Seit einer Woche ist Shah Rukh Khan in Berlin und versetzt die Stadt in einen mittleren Ausnahmezustand. Gekommen ist der Schauspieler, um seinen Film „Don 2“ zu drehen, bis Dezember wird er bleiben. Per Twitter lässt Khan Fans auf der ganzen Welt an seinem Aufenthalt teilhaben. Nach der Park-Inn-Szene stellte er ein verwackeltes Handyfoto vom Alex ins Internet. Den ersten Eintrag hatte er kurz nach seiner Ankunft verfasst: „in berlin. good to see it in the day time.“

Den Besuch des Bollywood-Stars hat Aamir Khan Javid bislang nur in den Medien verfolgt, er ist einer von knapp 2500 Indern in der Stadt. Zeit, dem Schauspieler wegen eines Autogramms hinterherzujagen, hat er ohnehin kaum. Der 30-Jährige betreibt ein Restaurant in der Lychener Straße in Prenzlauer Berg. Zudem organisiert er den „Meena Club“, eine Bollywood-Partyreihe, die erst gestern wieder im Sophien-Club in Mitte stattfand. Vor fünf Jahren rief Javid die Veranstaltung ins Leben, „um einen Teil unserer Kultur hier in Deutschland zu bewahren“. Zu den Partys kommen viele Landsleute, aber der Großteil der Gäste sei aus Berlin, sagt Javid.

Die Faszination für Indien und seine Kultur ist nicht neu. In den 20ern ließ Produzent Joe May bei Woltersdorf zwei Hindutempel errichten, um Teile der Filme „Das indische Grabmal“ und „Der Tiger von Eschnapur“ zu drehen. In Weißensee wurde 1985 in Gedenken an Indira Gandhi die ehemalige Lichtenberger Straße nach der Politikerin umbenannt. Zudem gibt es etliche Yoga-Studios und Ayurveda-Salons, in denen sich gestresste Berliner nach traditioneller indischer Heilkunst behandeln lassen. Nicht zu vergessen die unzähligen Restaurants.

Aamir Khan Javid kam vor neun Jahren in die Stadt. Die Sprache zu lernen, fiel ihm besonders schwer, aber durch die Arbeit im Restaurant war er dazu gezwungen: „Ein Gast kommt nicht nur, um zu essen, er will auch unterhalten werden.“ In seinem Lokal serviert Javid landestypische Küche in unlandestypischem Ambiente. Die Einrichtung des „Meena Kumari“ erinnert an eine Lounge, man sitzt auf lederbezogenen Hockern, das Licht ist gedämpft. Abgesehen vom Duft der frisch zubereiteten Gerichte deutet hier nur ein großes Bild rechts vom Tresen auf die Herkunft des Betreibers: eine Schwarz-Weiß-Aufnahme von Meena Kumari, einer der bekanntesten Schauspielerinnen Indiens.

Dass Amir Khan Javid sein Restaurant nach einem Filmstar benannt hat, ist kein Zufall: „Kino ist für uns eine zweite Religion.“ Und die wird von den Gläubigen exzessiv ausgeübt. Ein Film unter drei Stunden Länge sei in seiner Heimat nicht denkbar, sagt Javid. Und deshalb gefallen ihm auch die Bollywood-Filme nicht, die am Wochenende auf RTL 2 gezeigt werden: 75-minütige Produktionen, auf die deutschen Sehgewohnheiten zugeschnitten. Das sei in Indien höchstens ein Kurzfilm.

Manche Klischees treffen also zu. Andere nicht, sagt Sanjay Shihora, 42. Zum Beispiel das Vorurteil, dass indische Frauen gerne Unmengen Goldschmuck tragen. „Was aber stimmt: dass wir bunte Kleidung mögen.“ Shihora selbst bevorzugt wild gemusterte Hemden, manchmal trägt er auch einen roten Turban, zumindest auf der Bühne. Er ist Deutschlands einziger indischer Comedian und Begründer des „Comedy Club Kookaburra“. Vor 19 Jahren kam er in die Stadt, der Liebe wegen. In Paris hatte er seine spätere Frau kennengelernt, eine gebürtige Berlinerin, in zehnter Generation. Die Frage nach dem gemeinsamen Lebensmittelpunkt stellte sich da erst gar nicht.

Die Eingewöhnung in der Stadt fiel ihm dank der Unterstützung seiner Frau nicht schwer. Schwierigkeiten gab es nur, als Shihoras Familie das erste Mal nach Berlin kam. „Bei uns gibt es keine Privatsphäre, eine Wohnung ist für alle gleichermaßen zugänglich.“ Dass es in Deutschland nicht von Neugier, sondern von Unhöflichkeit zeugt, Schrankinhalte von Gastgebern zu begutachten, musste er seinen Eltern erst erklären. Mittlerweile haben sie sich daran gewöhnt. Vermutlich hat es mit der Gelassenheit zu tun, für die Inder gemeinhin bekannt sind. „Wenn die Bahn mal wieder 15 Minuten zu spät kommt, trinken wir einen Tee, die Deutschen schreiben einen Beschwerdebrief“, sagt Shihora.

Von dem Hype um Shah Rukh Khans Berlin-Aufenthalt lässt sich Sanjay Shihora nur wenig beeindrucken, er ist mit den Vorbereitungen für sein Bühnenprogramm beschäftigt. Heute Abend wird er auf der Bühne des Kookaburra-Clubs in der Schönhauser Allee in Prenzlauer Berg stehen. Aamir Khan Javid verfolgt die Dreharbeiten des Bollywood-Stars hingegen mit mehr Interesse. Gerne würde er ihn in sein Restaurant einladen – am 2. November wird der Schauspieler 45, das wäre eine gute Gelegenheit. Nur „Chicken Curry“ würde dann nicht serviert, dieses Gericht gibt es in Indien gar nicht. Das sei ungefähr so wie mit dem Döner Kebap, sagt Javid: Der wurde in Berlin erfunden.

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