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Stadtleben: Bumms mit Botschaft

Heute Abend laden 26 Berliner DJs in die Arena Ihr Motto: „Wir sind die Stadt“

Letztens war Michael Pagliosa mal wieder mächtig stolz auf seine Stadt. Er kam abends am U-Bahnhof Eberswalder Straße in Prenzlauer Berg vorbei und staunte: Der kleine Zeitungskiosk unten an der Treppe hatte sich in einen Club verwandelt, mit DJ-Pult auf der Theke und 15 tanzenden Leuten davor. Die haben „richtig coolen Elektro“ gespielt, sagt Pagliosa. „Ich dachte nur: Wow.“ Doch so sei die elektronische Musikszene Berlins eben: Lebendig. Spontan. Unberechenbar.

Michael Pagliosa, 45, ist ein wichtiger Teil dieser Szene. Unter dem Künstlernamen Mike Vamp bildet er – zusammen mit Partner DJ Clé – seit zehn Jahren das House-Duo Märtini Brös. Die beiden sind dafür bekannt, dass sie bei Auftritten nie still hinterm Plattenteller stehen, sondern eine wildere Liveshow abziehen als manche Rockband. Deshalb werden sie von Clubs auf der ganzen Welt gebucht, an einem Abend spielen sie in Tel Aviv, am nächsten in Barcelona und am dritten in Montreal.

Heute treten die Märtini Brös in Treptow auf, auf dem weitläufigen Gelände der Arena. Dort findet ab 23 Uhr die „Sommersafari“ statt, 26 DJs und Live- Künstler spielen auf mehreren Bühnen drinnen und draußen – und alle kommen aus Berlin. Manche sind hier geboren, andere nach der Wende hergezogen. Die Auswahl der DJs ist nicht zufällig, das Motto des Abends lautet „Wir sind Berlin“ und spielt auf die aktuelle „Be Berlin“-Kampagne der Senatsverwaltung an. Der abgewandelte Slogan: „Sei Nachtschwärmer, sei Frühaufsteher, sei Berlin“. Das ist ziemlich ungewöhnlich, dass sich Szenemusiker so eindeutig positiv auf eine Marketingkampagne der Stadt beziehen. Aber, so sagt der Veranstalter: „Berlin ist der kulturelle Schmelzkessel und damit einer der wichtigsten Standorte für elektronische Musik weltweit.“ Und weiter: „Berlin ist Heimat unzähliger Künstler und DJs, die in ihren Studios am Sound von morgen schrauben.“

Das kann niemand bestreiten – und hat sich herumgesprochen. Wer sich als DJ in einem Londoner oder New Yorker Club als Berliner zu erkennen gibt, hat beim Publikum direkt einen Bonus. „Dann schaut man in strahlende Gesichter“, sagt Clé, 40. „Und Menschen schwärmen von aufregenden Berliner Clubs, auch wenn sie noch nie hier waren.“ Auch die Märtini Brös haben Berlin zu danken, sagt Mike Vamp – weil sie hier ein einmaliges Umfeld fanden: „Die Szene ist so schön entspannt und bietet allen Platz.“ In anderen Städten herrsche Konkurrenzkampf: „Legt ein DJ in München in Club A auf, darf er oft nicht mehr in Club B auflegen.“ In Berlin leihen sich DJs untereinander Technik, auch wenn sie noch nie zusammen gearbeitet haben, sagt Mike Vamp.

Ein bisschen schade findet es DJ Clé, dass die Loveparade aus Berlin ins Ruhrgebiet abgewandert ist. Beim diesjährigen Umzug in Dortmund sind die Märtini Brös auf der Abschlusskundgebung aufgetreten – mit neu arrangierten Songs und Streichern auf der Bühne. Aber wenn man es sich genau überlege, sagt Mike Vamp, brauche Berlin die Loveparade nicht mehr. „Es gibt Veranstaltungen wie den Karneval der Kulturen, den CSD und einige mehr, die mehr für diese Stadt stehen als eine total durchkommerzialisierte Massenveranstaltung.“

Und dann natürlich die zahllosen Clubs, in die beide Märtini Brös auch privat noch gehen. Wohin man dringend gehen sollte: dienstags ins Cookies, mittwochs ins Watergate. Klar, da legen sie selbst auf. Donnerstags könnte man mal was anderes ausprobieren, zum Beispiel das Bassys. Und am Wochenende muss man auf jeden Fall in die Panoramabar und ins Berghain – oder es zumindest versuchen, da sind die Türsteher bekanntlich ziemlich streng. Sie selbst hatten fast immer Glück. Nur DJ Clé wurde einmal abgewiesen, das war in einem Club in der Nürnberger Straße. Aber bloß, weil der Türsteher denselben H&M-Pulli trug wie er. Außerdem gibt es den Laden schon gar nicht mehr. Zählt also gar nicht. Sebastian Leber

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