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Bundesregierung: Ball, Gefühl und Führung

Was hätte das für ein Fest werden können, für Union und FDP, die Wunschpartner: der erste Bundespresseball in ihrer endlich angebrochenen gemeinsamen Regierungszeit. Eine Feier des Aufbruchs, der Mörgenröte. Doch das, was im Moment über beiden scheint, sieht eher nach Abendsonne aus.

Schon der Name. „Krisenfest“. Ein Wortspiel, ganz offensichtlich, hier soll gefeiert, getanzt werden auf dem Vulkan oder am Abgrund, das soll es heißen, einerseits. Aber eben auch, dass Vulkane oder nahe Abgründe nicht in der Lage sind, hier irgendwen auch nur zu erschüttern oder innehalten zu lassen. Alles bleibt beherrschbar.

Nur selten in der 58-jährigen Geschichte des Bundespresseballs schien ein Motto – die Gastgeber hatten es vor Monaten schon gewählt – so ausgezeichnet zum Gefühl der Gäste zu passen wie dieses Mal, von denen die allermeisten ja irgendwie betroffen sind von Finanzkrise, Wirtschaftskrise und Haushaltskrise. Doch dann, nur fünf Stunden bevor die ersten an diesem Freitagabend in Ballroben und Smoking zum Feiern ins Berliner Hotel Intercontinental kamen, musste die Bundesregierung – und mit ihr der ganze Rest des Landes – Ereignisse verkraften, die tatsächlich aufwühlend sind. Vielleicht weil sie so plötzlich kamen, vielleicht weil es dabei um Krieg geht: der zähe Rücktritt des ehemaligen Verteidigungs- und amtierenden Arbeitsministers Franz Josef Jung und die dann folgende eilige Kabinettsumbildung.

Immer wieder kreisen die Gespräche um die Ereignisse nach dem Bombenangriff auf die Tanklastzüge in Afghanistan Anfang September. Hatte man nicht gleich das Gefühl, dass an der Version Jungs, es seien keine Zivilisten zu Schaden gekommen, etwas nicht stimmen könne? Und dann natürlich die alles entscheidende Frage: Wenn deutsche Feldjäger, wie man nun weiß, bereits Stunden nach dem Angriff das Verteidigungsministerium darüber informiert haben, dass nicht nur der Einsatz fragwürdig war, sonder auch Kinder und Jugendliche betroffen, wer wusste dann noch davon? Das Kanzleramt, das Außenministerium, damals noch unter Führung des SPD-Spitzenkandidaten Frank-Walter Steinmeier?

Gedämpfte Stimmung bei den liberalen Partygästen

Zum Bundespresseball lädt die Presse ein, Journalisten empfangen Gäste aus der Politik, der Wirtschaft und Kultur. Man war nicht nur nett zueinander im zurückliegenden Jahr und wird es im nächsten wohl auch nicht immer sein. Das Fest dient also auch dazu, einmal miteinander ins Gespräch zu kommen über Dinge, die jenseits dessen liegen, über was die Medien mit den Protagonisten ihrer Berichterstattung sonst so sprechen. Frieden schließen und Gräben, feiern, um das weitere Miteinanderauskommenmüssen erträglicher zu gestalten.   Vielleicht schon deshalb sollte man nicht alle Worte, die hier gesprochen werden, auf Goldwaagen legen – es wäre ohnehin ungehörig für einen Gastgeber, seine Gäste hinterher vorzuführen.

Doch eines ist so sehr unübersehbar, dass es Unsinn wäre, es zu verschweigen: die Erschütterung darüber, dass da – einen Tag zuvor – etwas Ungeheuerliches ans Licht gekommen ist.

Über Steinmeier wundern sich dennoch manche. Der ist doch Oppositionschef. Der muss doch angreifen. Aber Steinmeier spricht noch wie ein Außenminister, sagt, Jungs Rücktritt sei „wahrscheinlich folgerichtig“ gewesen. Und dass er es wage zu bezweifeln, dass alle relevanten Fragen nun beantwortet seien. Ansonsten hat er einen Satz parat, den er immer wieder sagt. „Dass es ein hartes Jahr war, sieht man auch daran, dass mir der Smoking diesmal besser passt.“

Gedämpft ist die Stimmung auch bei den liberalen Partygästen. Eigentlich sollte dieser Ball, ihr erster nach all den Oppositionsjahren, fröhlich werden. Endlich an der Regierung, am Hebel der Macht. Was hätte das für ein Fest für Guido Westerwelle und seine FDP-Mannschaft werden können. Stattdessen: ein gequält lächelnder Außenminister, wie er sich beeilt, kurz nach 19 Uhr an den wartenden Fotografen vorbeizukommen. Hinter niemandem sind die so her wie hinter ihm. Bitten, ob er nicht ein bisschen enger heranrücken könne an seinen Lebensgefährten Michael Mronz. Einmal streicht er ihm kurz über den Rücken, von allen Seiten flackern die Blitzlichter auf. Zu spät, Westerwelle hat sich schon wieder umgedreht. „Erst mal ein Bier“, sagt er.

Auf der Bühne flogen die Fetzen

Gesundheitsminister Philipp Rösler ist der Schreck über das, was da gerade in der Regierung passiert ist, deutlich anzusehen. Er ist eigentlich nur noch zum Ball gekommen, weil sich seine Frau Wiebke so sehr auf das Ereignis gefreut hatte. Nachdem ihr Mann vor vier Wochen mehr oder weniger zum Gesundheitsminister nach Berlin dienstverpflichtet wurde. Und sie nun mit den Zwillingen und dem neuen Haus ganz allein in Hannover zurückbleibt. Und natürlich Cornelia Pieper. Scheinbar ziellos sieht man die FDP-Staatsministerin im Außenministerium in ihrem braungüldenen Abendkleid noch lange nach Mitternacht durch die Säle treiben.

Wenn dennoch so etwas wie ein Stern über der Veranstaltung leuchtet, dann ist es der eines Abwesenden. Die Grünen-Chefin Claudia Roth sagt: „Ich weiß nicht, ob er tanzen kann. Aber ich würde mal tippen: Selbst das kann er gut.“ Sie meint den Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, Jungs Nachfolger, der klar und deutlich zu sprechen vermag und dessen Sätze darüber hinaus auch oft mit Substanz und Vernunft gefüllt sind. Schon allein dadurch scheint er sich – was die öffentliche Wahrnehmung angeht – abzuheben von seinen Kollegen im Kabinett.

Auch ohne die Causa Franz Josef Jung waren die ersten vier Wochen der neuen Regierung ja alles andere als ein Schauspiel, dessen Inszenierung das Publikum mit Wohlgefallen betrachten konnte. Auf der Bühne flogen die Fetzen, während die Regisseurin sich abwartend in den Souffleusenkasten zurückgezogen hatte, von dort aber keine Stichworte gab, sondern schwieg. Und offenbar war sie ja auch bei Jungs Entlassung nicht treibende Kraft, sondern die Getriebene.

Die Zeit der Koalition scheint schon vorbei

Seit die „Bild“-Zeitung ans Licht brachte, welch Abgrund an Landesverrat sich im Verteidigungsministerium aufgetan hatte, herrscht blankes Entsetzen. Landesverrat? Wie mag man es sonst nennen, wenn aus der militärischen Führung heraus dem Minister wichtige Fakten zur Aufklärung des Geschehens in Kundus vorenthalten werden – in einem Land, dessen der NS-Zeit Nachgeborene sich geschworen hatten, nie wieder dürfe das Militär der demokratisch gewählten Politik das Heft des Handelns aus der Hand nehmen? Wie anders als Landesverrat durch sträfliches Nichtstun mag man es denn nennen, wenn der zuständige Minister Berichte über die Tatortbesichtigung zwar weiterleiten lässt, selbst aber nicht anschaut? Es ging hier ja nicht um einen Rapport über die Speisenfolge im Feldlager, sondern um das Zeugnis über tote und verwundete Zivilisten.

2005, da war Schwarz-Gelb ein Projekt gewesen, voller Dynamik, Aufbruchstimmung, das sah nach Neuanfang aus nach dem chaotischen Ende der Ära Schröder / Fischer. Aber vor vier Jahren wurde das dem Wähler dann im letzten Moment doch unheimlich – nichts gegen neue Ufer, aber dass man auf dem Weg dorthin nicht absäuft, da möchte man doch schon vorher sicher sein.

Schwarz-Gelb 2009 hingegen ist eine verspätete Koalition, eine, deren Zeit eigentlich schon vorbei ist, aber das hat vorher keiner gewusst. Es ist eine Koalition, für die der Weg offenbar schon das Ziel gewesen ist, die mit dem Wahlsieg nicht zurechtkommt. Zu verschieden sind die Temperamente, zu unterschiedlich die Absichten derer, die meinten, sie täten sich zu einer Wunschpartnerschaft zusammen.

Hier eine CDU-Spitze, die in der großen Koalition nicht nur sozialdemokratisiert, sondern auch durch die Wirklichkeit ernüchtert wurde. Neben ihr die FDP, die nach elf Jahren Opposition genau diesen Realitätsschub noch weit vor sich hat, die ein paar Experimente nachholen möchte, die anderswo längst als gescheitert abgehakt sind. Die fixe Idee etwa, man könne den Aufschwung eins zu eins durch Steuerermäßigungen auf Pump und auf Kosten der Länder herbeihexen. Dazwischen eine CSU, die immer noch wie ein barocker Fürst glaubt, das Ausschütten von Wohltaten über die engere und weitere Gefolgschaft würde zu des Volkes Domestizierung und Dankbarkeit beitragen. Mittendrin die Kanzlerin. Die zwar in der Außen- und Sicherheitspolitik klare Vorstellungen hat, deshalb weltweit Ansehen genießt. Die es aber in der Innen- und Gesellschaftspolitik letztlich dem Wechselwind der Koalitionsfraktionen überlässt, wohin das Schiff treibt. Und dann so tut, als habe sie Äolus, dem Gott des Windes, die Richtung vorgegeben. Der freilich war der Mythologie nach mit Eos, Göttin der Morgenröte, verheiratet. Was im Moment über Schwarz-Gelb scheint, sieht eher nach untergehender Abendsonne aus.

Mitarbeit: Sebastian Leber 

Gerd Appenzeller

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