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Casting-Kreuzberg: Aufmarsch der Rampensäue

Casting-Wahn und kein Ende: In Köln kürte RTL den neuen "Superstar" In Kreuzberg bewerben sich derweil schon wieder Leute als "Supertalent"

Wenn RTL sagt, es sei „wahnsinnig vielfältig“, was hier, beim Casting der nächsten Staffel von „Das Supertalent“, an Darbietungen zu sehen ist, dann ist das eine euphemistische Beschreibung. Während in Köln das Finale von „Deutschland sucht den Superstar“ ansteht, fängt hier bei der hässlichen kleinen Schwester von DSDS alles wieder von vorne an. Mit der offenen Tür für alle Talente, die sonst keiner haben will.

Die treffen sich Sonnabend und auch Sonntag von 9 bis 18 Uhr im Kreuzberger Umspannwerk, Paul-Lincke-Ufer 20, wo sich eine lange Schlange gebildet hat. Jeder bekommt eine Nummer auf die Brust geklebt und darf der Vorjury, bestehend aus Redakteuren der Produktionsfirma, zeigen, was er kann. Nur wer dort überzeugt, darf zum richtigen Casting, bei dem er dann Dieter Bohlen, Poptitan, Sylvie van der Vaart, Fußballergattin, und Bruce Darnell, weinerlicher Laufstegtrainer, in echt sehen darf.

Ein Herrchen mit seinem Hund, der „Mama“ bellen kann, was sich eher nach „Wau, wau“ anhört. Ein Mann in Ritterrüstung, der bereits auf dem Hof laut und schief einen Text grölt und sich dabei mit einem Mikrofon auf den Blechhelm drischt und die Darbietung später einen „Grenzgang zwischen Moderne und Klassik“ nennen wird. Einige Meter weiter eine Frau mit moderner Kurzhaarfrisur und Brilli im Eckzahn. Sie war bereits in der letzten Staffel dabei und hat damals Dieter Bohlen erzählt, dass sie mal seinetwegen ihren Job verloren hat. Sie wurde nämlich auf einem Modern-Talking-Konzert fotografiert und ihr Chef bekam das Foto zu sehen, obwohl sie krankgeschrieben war. Dieses Mal will sie es mit dem Lied „Ich bin stark nur mit dir“ versuchen, das auf die Melodie von Modern Talkings „You’re my heart, you’re my soul“ gesungen wird. Gewinnen wird sie damit wohl nicht, sagt sie. Aber den Dieter noch mal sehen, noch mal dabei sein.

Die richtigen Talente, die sind natürlich auch dabei. Zwei Jungs, die mit Kegeln jonglieren, ein kleines Mädchen mit Saxofon, die 19-jährige Trapezkünstlerin Medea, die eine so ausdrucksstarke und waghalsige Performance macht, dass sie extra für die Presse noch mal vorturnen muss, um zu zeigen, dass das alles hier gar nicht so eine Freakshow ist. Medea sagt, sie sei eine „Rampensau“. Dann sagt sie, sie wisse aber nicht, ob sie hier überhaupt gewinnen kann. „Man kriegt die Leute doch nur mit einer Leidensgeschichte, und ich bin eigentlich ein total fröhlicher Mensch, Mist.“ Der Gewinner der letzten Staffel hieß Michael Hirte und man ist tatsächlich nicht sicher, ob er gewonnen hat, weil er so schön Mundharmonika spielt oder weil er Hartz-IV-Empfänger ist und ein Bein nachzieht.

Medea überlegt, ob sie die Geschichte mit ihrem Liebeskummer vor anderthalb Jahren vielleicht doch noch ein bisschen ausbauen sollte. Oder vielleicht den Unfall vor einigen Jahren, als sie beim Nackenstandabfaller abgestürzt ist? Vielleicht reicht ja auch die Leistung, um endlich vor die Jury zu kommen.

Die Leistung der Gruppe am Ausgang zumindest ist fraglich. Es ist diese Stimmungsgruppe verschiedenster Menschen, die es bei jedem Casting gibt. Einer hat eine Gitarre dabei und alle haben sich darum formiert und singen. Vorher kannten sie sich nicht. Später werden sie sich nicht mehr kennen. Ihre Gemeinsamkeiten: einmal Teil des Ganzen zu sein und „Mendocino“ und „Marmor, Stein und Eisen bricht“ im Kopf. Eine fröhliche Runde. Gefundenes Fressen für die RTL-Kamera. „Und bitte noch mal klatschen alle, das wäre superlieb!“ ruft die Redakteurin. Alle sind dabei. Es ist ein Geben und Nehmen. Elena Senft

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