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Das Attentat auf Rudi Dutschke: Nachdenkliche Töne im Tagesspiegel

Gedenken an Weimar - und Kritik an der Diffamierung der Linken. Wie wir damals über den Anschlag berichteten:

Die historische Parallele war schnell gefunden – aus heutiger Sicht sicher überzogen. „Die Spuren Weimars schrecken. Sie haben sich gestern in dieser unserer Zeit und in dieser unserer Stadt mit dem Blut eines Wehrlosen gefüllt“ schrieb ein namentlich nicht genannter Kommentator im Tagesspiegel vom 12. April 1968 auf der zweiten Seite. „Werden Linksextremisten sich durch Appelle davon abhalten lassen, Gewalt mit Gewalt zu vergelten?“ hieß es weiter. Und es wurde die Frage aufgeworfen, ob der „heilsame Schock“ des Todes von Benno Ohnesorg möglicherweise an Wirkung verloren habe.

Der eigentliche Leitartikel dagegen stammte – so war das damals – von einem Jesuitenpater, trug den Titel „Dienst der Versöhnung“ und befasste sich mit überzeitlichen Gedanken zum Karfreitag ohne aktuelle Bezüge. Zwei der fünf Spalten der Titelseite waren dem Anschlag auf Rudi Dutschke vorbehalten, der nach damaligem Sprachgebrauch als „Berliner SDS- Ideologe“ bezeichnet wurde.

Der Ton der Artikel war streng nachrichtlich und zum großen Teil aus Polizeimeldungen zusammengesetzt. Reportagen von Tatorten waren damals nicht üblich – doch berichtete der Tagesspiegel aus eigener Anschauung, wie sich zunächst im Audimax der TU eine Protestversammlung bildete und sich von dort eine Demonstration mit etwa 3000 „Jugendlichen“ in Richtung Springer-Haus in Marsch setzte. Dann: „Plötzlich schlugen meterhohe Flammen aus der Garage, in der die Lieferwagen des Verlags standen.“ Auch die gesamte zweite Seite war dem Anschlag gewidmet und fasste auch nationale und internationale Reaktionen zusammen.

Am Sonnabend nach der Tat erschienen in Berlin wegen des Karfreitags keine Zeitungen. Am Ostersonntag dann zeigte der Tagesspiegel ein ähnliches Bild wie am Freitag: Der Leitartikel war einer theologischen Betrachtung des Festes, diesmal aus evangelischer Sicht, vorbehalten. Der anonyme Kommentar zum Thema – auf Seite zwei – schlug nachdenkliche Töne an, um genaue Begrifflichkeit bemüht: „Ein zugereister, primitiver Fanatiker, der Hitler-Bilder malt, hat den an seiner Zeit leidenden Verkünder einer unpräzis formulierten, perfektionistisch gemeinten Volksherrschaft niedergeschossen.“ Dann schwenkte der Autor in jene Linie ein, die sich später zur vorherrschenden Meinung entwickeln sollte: „Hat unser Regierender Bürgermeister nicht seinen Parteifreunden zugerufen: ,Seht euch diese Typen an?‘ und damit ein Schmähbild an die Wand gemalt, das der Wirklichkeit junger Rebellion nicht gerecht wird, an frühere Diffamierungsklischees erinnert und die äußerste Linke in ihrer Solidarisierung bestätigt? Haben nicht Zeitungen des Springer-Konzerns solch undemokratische Typisierungen plakatiert?“

Der nächste Tagesspiegel erschien am Mittwoch, dem 17. April. Die Berichterstattung über die Folgen des Anschlags umfasste nun bereits rund fünf Seiten. Die Rubrik „Studenten über ihre Probleme“ wurde zum ersten Mal der Tagespolitik geöffnet. Zu lesen war eine gemeinsame Erklärung der Studentenausschüsse von TU, FU und Kirchlicher Hochschule, in der es hieß: „Unsere Gewalt gegen Sachen, die die Mittel von Springers Hetze und die Mittel der Polizei sind, ist Gegengewalt gegen die Unterdrückung, der alle ausgesetzt sind, und die sich gegen uns auf der Straße nur manifestiert.“ bm

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