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Ulli Zelle: Der Abendschau-Rocker

Fernsehreporter Ulli Zelle ist der Nachbar von ganz Berlin. Sonnabend tritt er mit seiner Band auf. Der Name: „Ulli und die grauen Zellen“.

Ob’s voll ist? Bei Ulli is’ immer voll, sagt die Lady, die am Eingang von „Rickenbackers Music Inn“ den Eintritt kassiert. Ein Flachbau an der Bundesallee. Schon am Ausgang des U-Bahnhofs Güntzelstraße haben zwei Frauen mit Strähnchen im Haar danach gefragt. Jetzt stehen sie draußen im Biergarten und schmöken schnell noch eine. Zehn Euro kostet die Oldieband „Ulli und die grauen Zellen“. Kann man nix gegen sagen.

Drinnen sind so ziemlich alle Stühle weg. Viel dunkelbraunes Holz, Bücher und Bierkrüge zieren die Balken, Rumpelkammercharme mit aufgekratztem Publikum. Neugier liegt in der Luft. Ehemänner ordern Weizenbier, ihre Frauen Weißwein oder Wasser. Die meisten gehören zu Ulli Zelles Geburtsjahrgang – 1951.

Und da zwängt er sich schon durch das Volk: „Mister Abendschau“ Ulli Zelle, der Nachbar von ganz Berlin, immer unterwegs und überall zugleich. Plätze, Straßen, Baugruben, Galas, Volksfeste, Katastrophen, Politiker, Poliere, Berühmtheiten und Bürger – Zelle hat sie alle vorm Mikro. Der Mann ist ein Phänomen, geliebt, verabscheut, unvermeidlich überall dort, wo was los ist in dieser Stadt. Das ist doch Zauberei, wenn einer, der vor 20 Minuten noch live im Fernsehen vom Flughafen Tegel berichtet hat, jetzt mit der Kaffeetasse in der Hand in einer Wilmersdorfer Pinte steht.

Rotlicht-Profi Zelle jedenfalls hat auch als Feierabend-Rocksänger vorm Konzert die Ruhe weg und ist bereit für einen Plausch.

Die Band, mit der er regelmäßig hier, in der Eierschale Dahlem oder in Clärchens Ballhaus spielt, war eigentlich ein Geburtstagsgag. Gegründet zu Zelles 50., den er in der Tempelhofer Ufa Fabrik feierte. Mit Musikerkumpels aus seiner Stammkneipe, dem Gasthaus Lentz am Stuttgarter Platz, und einem absichtlich ulkigen Bandnamen.

Klar war Schlagzeuger der Jungentraum des gebürtigen Niedersachsen, der in Berlin an der HdK und der FU studierte, inzwischen Familienvater ist, und 1984 als Reporter beim SFB, dem heutigen RBB, anfing, wo er nun als Reporter und Moderator des „Heimatjournals“ arbeitet. Irgendwie flutschte Singen dann aber viel besser als Trommeln und nach und nach wurde die Band „die späte Erfüllung des Ulli Zelle“, sagt er und grinst.

„Ist ein irres Ventil“, sagt Zelle. „Ich kann auf der Bühne ein anderer sein. Nicht der Mann, der 300 000 bedienen muss, sondern nur 150.“ So viel passen rein ins Rickenbackers.

Die Songs von den Stones, Beatles, Doors, Kinks, Troggs, Burdon, Bowie, Lindenberg, Redding, Reiser, die er covert, sind „die Lieder, mit denen ich meine tollsten Jahre verbracht habe“.

In Ulli Zelles Hosentasche klingelt hartnäckig das Handy. Sein Reporterjob käme aber immer vor der Musik. Er liebt es, überall dabei zu sein. So wie nachher in der Pause, nach dem ersten von drei 45-minütigen Sets, braust er wieder raus nach Tegel – Live-Aufsager im RBB.

Zelle weiß, dass die Coverband eines Fernsehpromis leichter den Saal voll bekommt als eine x-beliebige. Und dass es coolere Combos als fünf Herren über fünfzig gibt, die Songs nachspielen. „Kriegen musst du die Leute trotzdem“, sagt Zelle, der auch als Hobbysänger mehr sein will als nur ein Imitator.

Auf der Bühne macht er dann erst mal den Kasper, schlüpft wie immer zum Singen aus den Slippern, hält sie hoch und ruft „Deichmann – 19,90!“ Alles lacht und bestaunt den erst etwas hüftsteif, dann immer exaltierter herum springenden Fernsehfritzen. „When I was young“ von Eric Burdon ist der programmatische Opener. Hat man schon schlechter gecovert gehört. Als Zelle dann auch noch Luftgitarre spielt und mit rutschender Jeans den Rocker raushängen lässt, ist in den Mienen des Publikums alles zu lesen: Überraschung, Fremdschämen, Anerkennung. Mal ist der Mann eine eitle Rampensau, die damit kokettiert, dass die Aufnahmeleiterin anruft. Mal traut er sich Hingabe an die Musik. Und obwohl Gitarrist Volker Hugo blöde Onkelwitze erzählt, haben „Ulli und die grauen Zellen“ was: ihre Instrumente drauf, Spaß an der Musik und Selbstironie.

„Gibt viel schlechtes Selbstgeschriebenes“, sagt Drummer Johannes Gebauer in der Pause auf die Frage, wo ihre eigenen Songs bleiben. Dabei komponieren Hugo und Keyboarder Mano Opitz im Hauptberuf Theatermusik. Aber könnte durchaus noch kommen, meint auch Bassist Micki Westphal. Trotz Promibonus haben sie sich den Erfolg hart erspielt, finden die Jungs. Angefangen haben sie vor 20 Leuten in der Säuferkneipe „Blauer Affe“ am Hermannplatz. „Zwei Jahre haben wir da gespielt“, sagt Westphal, bevor die Gigs regelmäßiger und größer wurden. Was Zelle kann und was nicht, weiß die Band ganz genau: Er habe eine gute Röhre, aber keinen Riesenstimmumfang. Für den alten Kreischkracher „Fire“ von Arthur Brown reicht der aber ganz gut. „Stark“, sagt ein Rentner zu seiner erschrockenen Gattin. Für sein „Beatclub“-Set hat Zelle sich von Tegel kommend extra in eine Siebziger-Rüschenbluse geworfen. Tonmann Frankie kippt in seinem Kabäuschen das Getränk dazu: Southern Comfort auf Eis.

Die Publikumsbefragung liefert ein bündiges Ergebnis: Zelle? Toll! Nur ein Herr moniert sein „schwules“ Haargewuschel. Zwei aus Heidesee angereiste Ehepaare bekennen sich so als Fans: „Wenn Zelle kommt, kommt immer wat Jutet.“ Schon halb zwölf – „Ulli und die grauen Zellen“ beginnen gerade mit dem dritten Set.

Ulli und die Grauen Zellen. Sonnabend, 21 Uhr, Rickenbackers Music Inn, Bundesallee 194b, Wilmersdorf

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