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© Cinetext

DREHORT BERLIN: Falscher Osten, alter Westen

Wenige Jahre nach dem Mauerfall versuchten Regisseure, den DDR-Alltag wiederzubeleben Der Wandel der Stadt war schneller, und so mussten für den Film viele Originalorte nachgebaut werden.

Die Versorgung des freien Westens mit brauner Brause war nicht gefährdet, drei Tage lang aber lief in der Lichterfelder Coca-Cola-Fabrik nichts mehr. „Die Produktion stoppte, Ware wurde nicht mehr ausgeliefert“, erinnerte sich der damalige Niederlassungschef an die Dreharbeiten zu Billy Wilders „Eins, zwei, drei“ im Sommer 1961. Es sollte nicht der einzige Auftritt des Berliner Firmengebäudes in der Filmgeschichte bleiben. 2003 kehrte das Kino noch einmal in die Hildburghauser Straße 224–232 zurück, in Wolfgang Beckers Wende-Komödie „Good Bye, Lenin!“ – als Film im Film: Die Freunde Denis und Alex drehen dort eine ihrer „Aktuelle Kamera“-Fälschungen, mit denen sie Alex’ todkranker Mutter (Katrin Sass) den Fortbestand der DDR vorgaukeln: Günther Mittag, Sekretär für Wirtschaft im Zentralkomitee, besucht angeblich die West-Berliner Konzern-Filiale für ein Handelsabkommen. Denn der Geschmack der Brause sei eigentlich in den Fünfzigern in den Laboratorien der DDR entwickelt worden. Beckers Filmcrew aber hat keinen Flaschenabfüller mehr gestört: Seit 1992 war das Werk verlassen.

Warum sollte es den Regisseuren besser gehen als den Filmhelden? Ihre Versuche, mit der Kamera mehr als zehn Jahre nach der Wende das authentische Gefühl des Ostens nachzuschaffen, ähnelt jedenfalls Daniel Brühls verzweifelte Suche nach Spreewaldgurken, Filinchen Waffelbrot und Mokka Fix. Wann immer ein Film über die unmittelbare Wendezeit gedreht wurde, schlug daher die Stunde von Lothar Holler. Der Szenenbildner, der an der Babelsberger Filmhochschule Konrad Wolf unterrichtet, hat sie alle ausgestattet: Wolfgang Beckers „Good Bye, Lenin!“ (2003) und Leander Haußmanns „Sonnenallee“ (1999), aber auch dessen Kreuzberg-Porträt „Herr Lehmann“ (2003) und den Militärfilm „NVA“ (2005).

Holler geht akribisch vor: Die Leuchtreklame, die in „Sonnenallee“ den funkelnden Westen verheißt, stammt vom Kölner Hauptbahnhof und wirbt für „Klosterfrau Melissengeist“. „Dieser Schriftzug ist so berühmt, geradezu ein Sinnbild für Leuchtwerbung in der alten Bundesrepublik“, erklärt Holler im Begleitbuch. Auf der Ostseite hingegen sei es ganz schön duster gewesen: „Werbung wie Plaste und Elaste, RFT, Margonwasser, HO und Konsum waren die schwachen Positionslampen des Ostens.“

Die Mauer, die in „Sonnenallee“ mindestens so spektakulär fällt wie in „Herr Lehmann“, dem westlichen Gegenstück, gab es natürlich nicht mehr. Sie musste auf dem Babelsberger Studiogelände ebenso nachgebaut werden wie die 261 Meter lange Häuserzeile der Straße. Überhaupt entstand „Sonnenallee“ überwiegend im Studio – Ost-Berlin hatte sich schon zu sehr verändert. Aber Holler hat so viele Ost-Motive wie möglich auf dem Babelsberger Set nachgebaut, den Laden für „Obst und Gemüse“ ebenso wie die Sekundärrohstoff-Sammelstelle Soko, den gelben Postkiosk und den Kletterpilz auf dem Spielplatz.

Auch „Herr Lehmann“ vier Jahre später wurde zu einem Großteil in der Babelsberger Sonnenallee, sprich: in der Studio-Straße gedreht. Jetzt stand sie für die Wiener Straße im Kreuzberger Kiez SO 36, in der die Kneipe „Einfall“ liegt. Das Restaurant „Markthalle“ hingegen, zweiter Hauptschauplatz und in der Kreuzberger Pücklerstraße noch immer gern von „Herr Lehmann“-Touristen besucht, wurde auf einem Kölner Studiogelände nachgebaut. Aber viele andere Orte, vom Prinzenbad bis zum Urbankrankenhaus, von der Dönerbude am Kottbuser Tor über den Heinrichplatz bis zum Landwehrkanal, tauchen als Original im Film auf.

Auch „Good Bye, Lenin!“ wurde weitgehend an Originalorten gedreht: Der Plattenbau nahe dem Alexanderplatz, in dem Alex und seine Mutter wohnen, steht in der Berolinastraße, die Datsche in Fichtenwalde, das Krankenhaus, in dem Alex seine Freundin Lara kennenlernt, liegt in Buch. Der Flohmarkt am Nordbahnhof, das Raumfahrtzentrum im Jugendfreizeitzentrum Wuhlheide, Staatsratsgebäude, Alexanderplatz – alles echt. Und die Demo wurde am U-Bahnhof Mohrenstraße gedreht: „Zwölf Jahre danach ist der 7. Oktober 1989 plötzlich wieder da“, schrieb damals der Tagesspiegel. Nur Lenins Statue, die per Hubschrauber über die Dächer fliegt, ist digital montiert.

Die letzte Folge:

Kulisse Berlin: Fr., 17. August

Christina Tilmann

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