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Stadtleben: Ein Jahrhundertmime aus Deutschland

Erwin Geschonneck wurde auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof beigesetzt – und Hunderte erwiesen ihm die letzte Ehre

Vor Jahren hatte sich Erwin Geschonneck, der Jahrhundertschauspieler, diesen Platz auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof ausgesucht – unter einer Birke, vielleicht 60 Schritte von Brecht und Helene Weigel entfernt, ansonsten zwischen ganz normalen Leuten. Mittlerweile liegt der Philosoph Herbert Marcuse in der Nähe, daneben Schauspieler Hans-Peter Minetti, Regisseur Frank Beyer und Eva Kemlein, die den listig lächelnden, verschmitzten Matti des Herrn Puntila schon in den Fünfzigern des vorigen Jahrhunderts fotografiert hatte. Gestern versenkten sie Geschonnecks sterbliche Überreste mit der Urne in die Erde, und Hunderte waren Zeuge bei diesem letzten Weg eines „aufrechten, unbeugsamen Zeitgenossen“, wie die Akademie der Künste ihr Mitglied nennt, das am 12. März mit 101 Jahren gestorben war.

Die Sonne bricht durch die Wolken, als um 12 Uhr die Trauerfeier beginnt. Regisseur Thomas Langhoff begrüßt die „Freunde, Freundinnen, Bewunderer, Kollegen und Genossen“, die mit den Angehörigen in der Feierhalle sitzen oder im Freien stehen und der Lautsprecherübertragung lauschen. Langhoff beschreibt das aufregende Leben des Emigranten, KZ-Häftlings, des Überlebenden der „Cap Arkona“ und des leidenschaftlichen Schauspielers bei Brecht und in hundert Filmrollen. „Wir sind mit dem ,Kalten Herz’, dem ,Beil von Wandsbeck’, mit ,Nackt unter Wölfen’ und dem ,Gewissen in Aufruhr’ aufgewachsen“, sagt der Regisseur, trotzdem sei Geschonneck bei seinem Tod als „ostdeutscher Schauspieler“ bezeichnet und gewürdigt worden. „Also war er ein Schauspieler für eine Minderheit – aber man hätte ihn auch im Westen kennen können, es gab genug Filme mit ihm, und wir waren ja auch informiert, was in der Kunst drüben geschah.“ Andere Länder gingen mit ihren Schauspielern anders um, wie etwa Vittorio de Sica oder Jean Gabin. „Er hat nicht an den Grundfesten der Partei und des Staates gerüttelt, das haben meine Väter nicht getan“, sagt Thomas Langhoff, „aber er ist der Idee treu geblieben, wie man die Welt verbessern könnte.“ Wenn er nun „an die sozialistische Himmelstür“ komme, dann könne er „mit Goethe sagen: ,Bloß kein langes Federlesen, lasst mich immer nur herein, denn ich bin ein Mensch gewesen, und das heißt: ein Kämpfer sein.’“ Sohn Matti Geschonneck, der Regisseur, bezeichnete seinen Vater als „unbändigen Energiebolzen“, der ihn gelehrt habe, für seine Überzeugung einzustehen: „Junge, sei nie ein Duckmäuser!“

Ernst Buschs Gesang begleitet den letzten Weg, an dessen Ende Witwe Heike mit einer tiefen Verbeugung eine rote Rose im Grab versenkt. Unter den Trauergästen können die Kollegen Jaecki Schwarz, Uwe Kockisch, Herbert Köfer, Franziska Trögner, Jan-Josef Liefers und die Politiker Petra Pau, Lothar Bisky und Gregor Gysi ihre ganz persönlichen Erlebnisse mit Erwin erzählen. Schauspieler Matthias Brandt, der „aus Respekt vor einem Großen meiner Zunft“ gekommen war, denkt, dass das Ost-West-Denken eines Tages ein Ende hat: „Mit der Generation meiner Tochter.“ Die ist gerade acht.

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