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© dpa

Entertainment in Berlin: Mit Spaß durch die Krise

Die leichte Muse hat’s schwer – so scheint es nach dem Aus für den Wintergarten. Doch in Krisenzeiten steigt der Bedarf nach Amüsement. Das könnte die Chance sein für Berlin, die Hauptstadt der Unterhaltung.

Die Nachrichten sind lausig, die Stimmung ist gut. Zumindest in den Berliner Amüsiertempeln, die weiter Abend für Abend Frohsinn unters Volk bringen. Krisengeunke, Rezessionsgeschwafel allerorten, zum Monatsende schließt das Schlachtschiff des klassischen Varietés, der Wintergarten in Schöneberg. Davor hat schon die Tribüne in Charlottenburg dicht gemacht. Die Ku’dammbühnen sollen abgerissen werden und der Friedrichstadtpalast überlebte nur dank der Finanzspritze, die ihm der Senat im vergangenen Sommer verabreichte. Die leichte Muse hat’s im Moment schwer, könnte man denken.

Die Unterhaltungsmacher ficht das jedoch nicht an. Sie bauen auf die Anziehungkraft der Unterhaltungshauptstadt und zeigen demonstrativ Gelassenheit. Keine Stadt werde im internationalen Showbusiness derzeit so gemocht wie Berlin, sagt Falk Walter, der Chef des Admiralspalasts. Die Künstler sagten: „Ich will nach Berlin!“ und die Berlinbesucher würden kommen, weil sie auf verwegenes Entertainment hofften. Eine Flaute sei im Admiralspalast nicht zu spüren. Und überhaupt: Wenn Leute wegblieben, liege es an der Qualität der Shows, nicht an der Krise. „Gerade in schlechten Zeiten wollen sich die Menschen amüsieren.“ Wenn die Ticketpreise stimmen.

Was das betrifft, hat Berlin gute Karten. Christian Tänzler, Sprecher der Berlin Tourismus Marketing und professioneller Optimist schwärmt, dass das Preis-Leistungsverhältnis hier verglichen mit anderen Kulturmetropolen wie London, Paris oder New York genial sei. Und die Angebotsfülle in der Unterhaltungsbranche mit rund 1500 Veranstaltungen täglich vom Musical über Kleinkunst bis zur Clubszene so vielfältig wie nirgends auf der Welt.

Dass Zeiten knapper Kassen gute Zeiten für die Showbranche sein können, ist eine Hoffnung, die Tourismus- und Freizeitforscher mit den Unterhaltungsmachern teilen. Und allen fällt bei Berlin da der Mythos Goldene Zwanziger Jahre ein. Da stürmten Nachtschwärmer einer „mobilen Mittelschicht“, wie Hasso Spode, Tourismushistoriker an der FU Berlin sie nennt, die Glitzerpaläste. Trotz drohender Rezession und politischer Wirren. Der thesenfeste Zukunftsforscher Horst W. Opaschowski aus Hamburg ist sich sicher: „Krisenzeiten sind gute Unterhaltungszeiten, weil das Glücksbedürfnis so groß ist.“ Aber weil die Amüsierwilligen mit weniger Geld in der Tasche weniger mobil sind, dürfe die Unterhaltung nicht so viel kosten. Da ist er wieder, der Berliner Standortvorteil, der die Unterhaltungsmacher dieses Jahr auf viele hoffen lässt, die mit Billigfliegern kommen.

Fünf von sechs Gründen, Berlin zu besuchen, seien kultureller Art, sagt Torsten Wöhlert, der Sprecher des Kultursenators Wowereit, und lobt die gelungene künstlerische und wirtschaftliche Entwicklung, die der Friedrichstadtpalast mit seiner neuen Erfolgsproduktion „Qi“ genommen hat. Intendant Berndt Schmidt vermeldete Ende Dezember immerhin Auslastungszahlen fast wie zu DDR-Zeiten: 99,92 Prozent. Europas größtes Revuetheater ist der einzige Subventionsempfänger unter den ansonsten privat finanzierten Musical- oder Kleinkunstbühnen und Varietés der Stadt.

Apropos Varieté. Das habe weiter Zukunft in Berlin, ist Holger Klotzbach, Chef von Tipi und Bar jeder Vernunft, überzeugt. Er ist seit Jahrzehnten fixer Teil der Berliner Entertainmentbranche und auch nach dem Wintergarten-Aus frei von Panik. Klar, der Kampf um jeden Zuschauer sei hart und man müsse den laufenden Theaterbetrieb durch Gala- Vermietungen finanzieren, aber sonst könnten nur hohe Immobilienpreise die Hauptstadt der Unterhaltungskunst gefährden. Was das Volk in mageren Zeiten will, weiß er genau: „Was entdecken, aber kein Risiko eingehen. Wer will sich schon den Abend vermiesen lassen.“

In eine ähnliche Kerbe haut auch Anke Politz, die Direktorin des Chamäleons in den Hackeschen Höfen, die jetzt im traditionell schwachen Januar zwar nur 60 Prozent Besucherauslastung gegenüber 75 Prozent im Dezember verzeichnet, aber „damit leben kann“. Ihr Konzept eines auf jung und sexy getrimmten, mit Musik und Tanz durchchoreografierten Varietés sei zukunftsfähig. Und die Erfolge ausländischer Shows wie des Cirque du Soleil zeigten: „akrobatische Körperkunst ist keine Flautenkunst“.

Bei so viel Gelassenheit mag auch der Unterhaltungsriese Stage Entertainment mit seinen drei Berliner Häusern Theater des Westens, Blue Max Theater und Musicaltheater am Potsdamer Platz nicht unken. Besucherzahlen gibt er zwar nie preis, aber Geschäftsführer Patrick Gott stellt beglückt fest, dass eine in Stuttgart spürbare Kartennachfragekrise in Berlin noch nicht angekommen sei. Im Gegenteil: Bei der Börsenflaute 2001 schnellten die Musicalbesucherzahlen sogar deutlich nach oben, sagt Gott. „Weil die Leute an Fernreisen sparen, aber sich trotzdem einen Berlin-Besuch gönnen.“

Womit sich der Kreis schließt und das Orakel Horst W. Opaschowski wieder das Wort hat. „Reisen ist die populärste Form von Glück“, sagt er. Daran und an den kleinen Freuden des Lebens werde zuletzt gespart. Dass zu den kleinen Freuden Konzertkarten im Hochpreissegment von 300 Euro wie neulich beim Auftritt von Elton John in der trotzdem ausverkaufen O2-Arena gehören, darf für viele Menschen bezweifelt werden. Aber alle anderen einheimischen und auswärtigen Nachtschwärmer können auf mehr als 150 Theater- und Tingeltangelbühnen der Stadt ihre kleinen Freuden zu vergleichsweise kleinen Preisen erleben.

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