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Blick in die neue Heimat. Der Brite Mark Espiner erkundet Berlin.

© Thilo Rückeis

Espiners Berlin: Berlin zeigt Flagge

Berlin ist schwarz-rot-gold. Der britische Wahlberliner macht sich so seine Gedanken über die neue Dreifarbenlehre an Autos, auf Balkonen und Köpfen.

Berlin hat in einem Staatsstreich, der simultan am gleichen Tag Deutschlands episches Gefecht mit Spanien und die Eröffnung der Fashion Week feiert, die ultimative Show geschaffen. 900 deutsche Topmodels - gleichmäßig aufgeteilt in Brünette, Rotschöpfe und Blondinen - werden Unter den Linden hinunterströmen, durch die Stadt paradieren und in eine Catwalkfeier von Schwarz-Rot-Gold verwandeln. Die Verkehrsplaner der Stadt sind ebenfalls an Bord. Sie haben die Fahrpläne neu gestellt, so dass sich um 4.45 Uhr  (Halbzeit natürlich) rote RB Züge, gelbe Strassenbahnen und eine Flotte an schwarzen Rickshaws auf dem Alexanderplatz versammeln, um eine gigantische Flagge zu formen. Und alles übertreffend hat sich Angela Merkel dafür neue schwarz-rot-goldene Unterwäsche gekauft (she did it just the other day, angeblich).

Ok, ich hab das alles erfunden. Aber bei der momentanen Besessenheit mit den deutschen Flaggen, die gerade über der Stadt flattern, wird das fast glaubwürdig. Ich bin mir sicher, dass in den vergangenen paar Tagen Flaggen regelrecht gezüchtet worden sind.

Zuerst hingen sie aus den Autofenstern heraus. Dann sprossen sie auf den Seitenspiegeln, was die Autos so aussehen ließ, als hätten sie deutsche Ohren. Und vor einer Weile sah ich sogar eine riesige Flagge auf der Motorhaube eines Autos ausgebreitet - ironischerweise war das Auto ein Toyota. Dann gibt es die schwarz-rot-goldenen Perücken (Afros oder Mohicans zum Aussuchen), die Blumengirlanden und die kleinen Fähnchen auf Cocktailsticks, die man bei seinem ganz speziellen WM-Picknick oder -Barbecue in Kuchen und Sandwiches stecken kann.

Das ist toll. Ich muss anmerken - und das wurde auch schon zuvor gesagt -  dass der letzte World Cup in Deutschland es uns Nicht-Deutschen ermöglicht hat, einen großen Seufzer der Erleichterung auszustoßen. Deutschland konnte endlich wieder Flagge zeigen. Ich erinnere mich, wie ich damals in London Begeisterung darüber empfand. Nicht länger war Deutschland eine Nation, die unfähig war, ihre nationale Identität auszudrücken. Nach all der Hölle und dem Gewissenskampf - oder besser ausgedrückt - Therapie, konnte die Flagge wieder geschwungen werden, mit sich selbst im Reinen, trotz ein paar zweifellos komplizierten Gefühlen. Ein bisschen dieses Gefühls kehrte für mich sogar zurück, als Lena den Eurovision Song Contest gewann und sich selbst in die Flagge wickelte. Wie Sie wissen bin ich nicht ihr größter Fan, aber dieser Ausdruck war einfach schön zu sehen. Allerdings nur, so lange sie nicht auf die Idee kommt, eine Spice Girl Geri Halliwell Flaggenkleid-Hommage zu produzieren. 

Es ist lustig, dass, während Sie sich wieder an ihre Flagge gewöhnen, die Flaggen für uns immer komplizierter werden. Der Union Jack, den Geri favorisierte, ist fast ausgestorben. Er ist eher eine Ikone einer veralteten Empire-Attitüde, nun da wir fast davon überzeugt sind, dass wir nicht mehr britisch, sondern englisch sind. Statt dessen schwingen wir nun bei jedem Wettkampf, so lange wir dabei sind, das Kreuz von St George durch die Gegend. Wobei gesagt werden muss, dass ein Teebeutel länger in dem Cup bleibt, als Rooney und seine Kumpels.

Das Kreuz wehte von jedem Black Cab in London als ich das letzte Mal dort war (Ich sah das Spiel gegen Algerien in einem Pub in Kings Cross, festoniert mit rot-weißen Kreuzflaggen). Das Kreuz hat jedoch etwas von einem nationalistischen Image, angeeignet von denen des extrem rechten Flügels. Ich wäre nicht besonders glücklich darüber, so eine Flagge zu wehen, in meinem Auto aufzuhängen (hätte ich denn ein Auto), oder auf meinen Socken zu tragen. Obwohl die Rechten, wie bereits argumentiert wurde, kein Monopol auf Patriotismus besitzen sollten.

Als ich durch Mitte radelte, sah ich jedoch dies. Ich folgere allerdings, dass das Display einer ostdeutschen Flagge nicht so sehr ein nostalgischer Ausdruck des DDR-Patriotismus war, sondern dass dies die einzige Flagge war, die der Haushalt besaß. Sie sah jedoch besorgniserregend neu aus.

Und dann war da noch die äußerst seltsame und fast surreale Aktion der radikalen Linken, die Immigrantenviertel in Neukölln attackierten, weil diese die deutsche Flagge heraushängten. Zugegebenerweise war sie im meistgefeiertsten Fall 22 Meter lang und 5 Meter breit, und wurde speziell angefertigt, um fünf Stockwerke abzudecken, für einen Preis von 500 Euro. Was kein schüchternes Statement ist, egal wie man es betrachtet.

Manche Abweichler sagten, dies wäre zu sehr eine Erinnerung an die tyrannische Vergangenheit. Ich dachte ebenfalls, dass das Banner, der das Gebäude drapierte, ganz ungemütlich Bilder aus den 30iger Jahren hervorrief, bis ich mich fragte, wie groß eine Flagge eigentlich sein darf, bevor sie zum politischen Problem wird. Ist eine Sandwichflagge ok, aber ein Banner unmöglich? Wieso ist eine deutschfarbige Afro-Perücke in Ordnung, aber ein Gebäude eingepackt in Schwarz-Rot-Gold ein Vergehen - und spielt es eine Rolle, wer die Flagge zeigt? Ich habe darauf bis jetzt noch keine Antwort gefunden - haben Sie?

Sie können Mark Espiner emailen unter mark@espiner.com oder ihm auf Twitter @DeutschmarkUK folgen. 

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