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Blick in die neue Heimat. Der Brite Mark Espiner erkundet Berlin.

© Thilo Rückeis

Espiners Berlin: Tiergarten, die Mutter aller Grillplätze

Der britische Wahlberliner Mark Espiner erkundet Berlin - mit Hilfe seiner Leser. Dieses Mal besucht er Griller im Tiergarten und testet Eisdielen.

Der Sommer ist bald vorbei, das müssen wir uns wohl eingestehen. Viel zu früh. In einem verzweifelten Versuch mir selbst vorzumachen, dass der schreckliche Winter doch noch nicht auf seinem Weg ist, verbrachte ich letztes Wochenende komplett mit Sommeraktivitäten. Keine noch so große Menge an Glühwein und Bratwurst auf den Weihnachtsmärkten können Eis und Grillen wettmachen, dachte ich.

So bin ich dann all Ihren Tipps von vor ein paar Wochen gefolgt, um Berlins bestes Eis zu finden, und habe während meiner Geschmackstestungen so viel davon gegessen, dass es mir nun bis zum nächsten Sommer reicht. Meine milchige Odyssee hatte allerdings einen unerwarteten Ausgang. Sie wurde zu einer soziologischen Unterrichtsstunde über Berlin. Mehr davon später

Vor dem Dessert jedoch hat man erst einmal sein Hauptgericht.

Ich bin zu der Schlussfolgerung gelangt, dass Grillen eigentlich Ihr Nationalsport sein sollte. Auf all meinen Reisen, denke ich, habe ich noch nie eine so enthusiastische Ansammlung an Fleischköchen gesehen, auf einem Fleck.

Diese Wahrheit wurde mir buchstäblich auf die Nase gebunden, als ich durch die Rauchwolken im Tiergarten radelte, die dort in den Bäumen waberten. Für einen Augenblick dachte ich, der Reichstag stünde (wieder) in Flammen, und radelte aus Furcht zweimal so schnell, um herauszufinden, was los war. Der süße Geruch eines Kohlegrills beseitigte all meine Sorgen und führte mich der Nase lang zur Mutter aller Grillplätze.

Auf einer Lichtung, so schien es, hatte sich Berlins gesamte türkische Bevölkerung zusammengefunden, um ihre Kebabs zu brutzeln. Ganze Familien - große Familien - versammelten sich um die brennenden Kohlen. Was für eine fantastische Party.

In London kann man kein Barbecue im Park veranstalten, ohne dass einem die Gesundheits- und Sicherheitsfaschisten erklären, es auszumachen. Es ist ein weiteres großartiges Zeichen Berliner Liberalität, dass man solche Dinge hier machen kann - und dass es dafür öffentliche Plätze gibt.

Dies gesagt erfahre ich, dass Pläne dafür vorliegen, das Grillen im Tiergarten zu verbieten. Tun Sie es nicht. Sie würden etwas verschwinden lassen, das wirklich besonders ist. Ich hatte das Gefühl einer echten Gemeinschaft und diese war offen genug, um sich ihr anzuschließen, wenn man wollte. Es wird dabei Abfall produziert, na und. Das kann doch sicher irgendwie gelöst werden?

Den Sonntag widmete ich dem Eis. Vielen Dank nochmals für all Ihre Tipps. Ich habe sie mit dem exzellenten Eis-Führer des Tagesspiegels verglichen und konnte dann, mit Ihrer Hilfe, meine eigene einzigartige Liste an Empfehlungen erstellen. Mein Plan war das beste Eis zu finden, und dies dann an Sie weiterzugeben. Ich habe meine Expedition auf dieser Google Karte dokumentiert, so können Sie sehen, wo ich war, und ich habe auch ein paar Videoclips dazugefügt, falls es Sie interessiert.

Es ist erstaunlich, was man von Eis alles lernen kann. Was als Spaß begann, als ein, wenn ich ehrlich bin, eher ausschweifender Konsumententest, nahm dann doch eher die Form von investigativen Journalismus an.

Die erste Regel, die ich anwand - um diesem Job den Hauch einer wissenschaftlichen Untersuchung zu geben - war das Vanilleeis an allen Orten zu testen. Diese Geschmacksrichtung würde ein gutes Maß zum Vergleichen sein. Sie denken vielleicht, dass es der langweiligste Geschmack ist, aber ein gutes Vanilleeis ist kaum zu schlagen. Zusätzlich werde ich aber auch das ungewöhnlichste Eis im Sortiment ausprobieren.

Regel zwei: Ich werde das Eis nur aus einem kleinen Pappbecher essen. Keine Tüten. Das würde bedeuten, dass diejenigen, die hausgemachte Waffeln oder high-class Glasbecher verwendenten, keinen Vorteil hatten. Der Test wird über das Eis allein entschieden.

Ich begann in Wedding mit Eis Henri, per E-Mail von Ben empfohlen. Hausgemacht nach Henri’s (der nicht mehr dabei ist) Rezept, wird es nun genau vor Ihren Augen von Mohammed, dem schwer arbeitenden Eismacher, hergestellt. Er schaufelte das Eis regelrecht aus den Maschinen hinter dem Tresen auf einer riesigen Schippe direkt in die ausgestellten Eisbehälter. Das Vanilleeis war ok, vielleicht etwas zu wässerig, aber das Mangoeis schlichtweg fantastisch - sauer und erfrischend - und die Portionen waren groß und günstig.

Auf meinem Rad dann zu Kauf Dich Glücklich in Prenzlauer Berg. Ein paar von Ihnen schlugen dies vor und ich habe schon viel davon gehört - aber die Schlange war riesig, der Service langsam und das Eis so-la-la. Ich weiß, ich bin ein Outsider und sollte mich wie Zuhause gefühlt haben, unter all den englischen Stimmen, aber dieser Ort fühlte sich etwas künstlich an und ich war mir nicht sicher, ob das Eis auch das Eigene war. Falls es hausgemacht war, war es nicht charakteristisch. Ich wollte wahrhaft echtes hausgemachtes Eis. In diesem Sinne war @chrrristo’s Twitter Tipp, Tanne B am Lausitzer Platz, gut. Bio-Eis, aber nicht herausragend. Es wurde allerdings im Hinterraum des Ladens hergestellt.

So war es auch bei Aldemir in Kreuzberg, das einen echt türkischen Zug hatte. Die Sorte Quark-Sesam-Honig war sehr lecker, aber das Vanilleeis ölig und pappsüß. Es schien nicht, als wäre man dort besorgt um irgendwelche biologischen Zutaten, sondern veröffentlichte stolz einen Index an E-Nummern und Zusätzen, die das Eis enthielt, in einem kleinen Buch auf dem Tresen.

Schöneberg, so wurde mir gesagt, war das Viertel der italienischen Einwanderer, mit Sicherheit die Herrscher über Eiscreme, und sollte somit eigentlich ein gutes Pflaster zur Untersuchung sein. Aber es war südamerikanisches Eis, nicht italienisches, das sich hervorhob. Gerhard Eilers, ein peruanischer Einwanderer, bot das tropischste und bis dahin geschmackvollste Eis an, bei Inka Eis. Es gab Tamarind (ein bisschen wie Zimt und sehr ungewöhnlich), Passionsfrucht, Acerola und besondere südamerikanische Schokolade. Das Vanilleeis war nicht das beste, aber all die anderen Sorten waren definitiv die Reise wert.

Im Eisladen in Mitte bin ich von meinen eigenen Regeln etwas abgewichen und habe den Pappbecher mit einer Muschel ausgetauscht. Ich aß natürlich hausgemachtes Vanilleeis, aber auch Waldmeister, eine Neuheit für mich. Mir wurde gesagt, dass man in der DDR, wo Eis wohl ein seltenes und deshalb echtes Vergnügen war, aus diesen Muschelförmchen aß. So standen sie also stolz in einem Glas auf dem Tresen und ich erfuhr, dass sie immer noch Wellen der Nostalgie bei den “Ossis” hervorrufen, die ihr Eis hier kaufen. Nur um es festzuhalten, Muschelwaffeln sind eine viel genußvollere wenn auch eher kleckerreiche Erfahrung.

Zurück in Kreuzberg, eine Empfehlung von Sarah, fand ich etwas von Berlins exzentrischem Geist. Charlotte Pauly gründete Fräulein Frost “um zu überleben”. Eine finanzielle Notwendigkeit gepaart mit unternehmerischem Geschick motivierten sie, zu lernen wie Eis gemacht und verkauft wird. Und sie hat sich die besten Rezepte ausgedacht. Gurke. Ja, Sie haben richtig gehört. Thymian und Honig. Ananas und Minze. Und wenn das nicht ihre Geschmacksnerven in Verzückung bringt, dann wird es ihr absolut herausragendes Vanilleeis tun. Probieren Sie es aus, bevor der Sommer zu Ende ist.

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Als ich mich so durch die Stadt schleckte, überkam es mich plötzlich, dass sogar so ein harmloses Milchprodukt den Geist seiner Nachbarschaft besaß und somit mit dem unverwechselbaren Stempel Berlins versehen war. Die Arbeiterklassen-Ehrlichkeit in Wedding, die Gentrifizierung und das wandelnde Gesicht des Prenzlauer Berges. In Kreuzberg, Multikultur auf der einen und unnachahmlicher Erfindungsreichtum und Überlebenswillen auf der anderen Seite. Sogar bei der Eiscreme sah man den Beweis einer einst geteilten Stadt. Mit den Muschelwaffeln lernte ich etwas über den Unterschied in ost- und westdeutschen Geschmäckern.

Ich muß allerdings sagen, so gut all das doch war, wenn es ums Eis geht, dann ist immer noch das Eis meiner Großmutter aus Neuseeland das Beste. Man kann es Zuhause herstellen. Und wenn Sie das Rezept haben möchten (Vanille, natürlich), dann E-Mailen Sie mir bitte.

Letzte Woche bat ich Sie um Vorschläge für besetzte Häuser in Berlin. Vielen Dank für Ihre Tipps soweit, aber bitte schicken Sie weitere.

Sie können Ihre Vorschläge an Mark Espiner E-Mailen unter mark@espiner.com oder ihm auf Twitter @deutschmarkuk folgen.

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