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Familiendrama: Schwester gesucht

Im Görlitzer Park ist Alberto, der Frisbeespieler, eine Institution. Nun steht er wegen eines Familiendramas vor Gericht.

Von Maris Hubschmid

Er ist eine echte Lokalgröße. „Wanna see Mr. Frisbee?“, singt eine Schülerband in ihrem Videoclip auf der Internetplattform Youtube. „I take you to Görli-Park!“. „Soll das ein Scherz sein?“ entgegnet ein Passant auf die Frage, ob er hier einen Frisbeespieler kenne. „Natürlich kenn' ich den.“ Ein Mädchen, das seinen Hund ausführt, legt den Kopf schief: „Meist kommt er nachmittags, aber vielleicht hast du Glück.“ „Immer geradeaus,“ ruft eine Joggerin. „Bis zur großen Mulde.“

Die große Mulde im Zentrum des Görlitzer Parks in Kreuzberg, das ist Albertos zweites Wohnzimmer. „Seit 2003 komme ich her“, sagt der hochgewachsene Mann mit den schmalen Gesichtszügen, „täglich, es sei denn, es schüttet“. Die 55 Jahre nimmt man ihm kaum ab, obwohl seine langen, schwarzen Locken längst von grauen Strähnen durchzogen sind. Zu athletisch seine Erscheinung, zu lässig die Bewegungen, dazu der dunkle Teint. Eigentlich heißt er Herbert Schmidt, doch für die Menschen im Kiez ist er Alberto, der Frisbeegott. Sie lieben es, zuzusehen, wie er die Scheibe tanzen lässt, mit ihm zu spielen, zu fachsimpeln.

Am Dienstag steht Schmidt vor Gericht. Das Jugendamt Bamberg hat Anzeige gegen ihn erstattet, wegen Beamtenbedrohung. „Alberto? Der würde keiner Fliege was zu Leide tun“, sagt ein Parkbesucher kopfschüttelnd. Habe er auch nicht vor, versichert Schmidt.

Im April war Schmidt im Rahmen des Festivals „Achtung Berlin“ auf der Kinoleinwand zu sehen. „Der Adel von Görli“ heißt die Dokumentation, eine Ansammlung von Parkimpressionen. Wer sie gesehen hat, kennt den zentralen Satz seiner Geschichte: „Ich suche meine Schwester“, sagte Schmidt in die Kamera.

Schmidt ist ein sogenanntes Besatzungskind. Sein Vater war nach dem Krieg als amerikanischer Soldat in der Nähe von Nürnberg stationiert. „Ich glaube, er war Mexikaner“, mutmaßt Schmidt. Er wisse es nicht genau. Anderes weiß er besser, als ihm lieb ist: „Mein Großvater war Faschist.“ Die Töchter, die sich mit dem Feind einließen, seien Verräterinnen gewesen in den Augen des Großvaters. „Meine Schwester und ich waren Kinder der Schande für ihn.“

Den Großteil seiner Kindheit hat Schmidt im Heim verbracht. „Die vom Jugendamt versprachen, wir würden zusammenbleiben“, erinnert er sich. Immer wieder schweift sein Blick in die Ferne an diesem Tag. Er raucht viele Zigaretten während er erzählt.

Sie blieben nicht zusammen, weil sich bald ein Ehepaar fand, das die Schwester adoptierte. „Die wollten nur ein Mädchen.“ Er blieb allein zurück.

Seither recherchiert Schmidt bei den Ämtern, wälzt Telefonbücher, gibt Anzeigen auf. 2005 hat er eine erste Spur: „Man wies mich auf eine Waltraud hin. Meine Schwester hieß Conchita, doch womöglich wurde sie umbenannt.“ Schmidt wähnt sich am Ziel, da teilt das Jugendamt mit, es dürfe keinerlei Daten herausgeben. „Angeblich möchte die Frau keinen Kontakt zu mir haben.“ Schmidt kann sich das nicht vorstellen. „Weiß sie denn, wer ich bin?!“

In einem Brief an das Jugendamt schreibt Schmidt: „Eher laufe ich Amok, als dass ich aufhöre, meine Schwester zu suchen.“ Statt einer Antwort findet er die Vorladung im Briefkasten. Am Dienstag muss er sich vor dem Amtsgericht Tiergarten verantworten.

„Ich war verzweifelt“, sagt Schmidt, „habe aber niemandem drohen wollen.“ Das muss er nun dem Richter erklären. Um 12:45 Uhr ist Verhandlungsbeginn.

Er habe das nicht gewollt, vielleicht habe die Sache jedoch ihr Gutes, hofft Schmidt. Wäre ja möglich, dass jemand aufmerksam wird. „Einer, der helfen kann.“ Maris Hubschmid

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