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verwaltungsgebäude in mitte

© Karl Johaentges

Fotoband: Unter den Wolken

Berlin mal anders gesehen: Der Fotograf Johaentges ist der Hauptstadt aufs Dach gestiegen und zeigt ihr schönes, unbekanntes Gesicht. Fünf Jahre hat er für seinen Bildband zu allen Tages- und Jahreszeiten geschwitzt und geknipst.

Ihn reizt beides, der Über- und der Drunterblick. Er schaut der Stadt auf den Kopf und möchte wissen, was unter der Haut steckt. Der Architekt und Fotograf Karl Johaentges („Kajo“) hat fünf Jahre für seinen Bildband „Dächer über Berlin“ geknipst und geschwitzt, ist zu allen Tages- und Jahreszeiten aus seinem Heimatort Hannover nach Berlin gefahren, hat die Klinken diverser Dachgeschosse und ihrer Besitzer geputzt, ist der Stadt aufs Dach gestiegen oder auch unter die Dächer geschlüpft – dies alles, um Berlin von einer anderen Seite, mit anderen als den herkömmlichen Ansichten und in einem rauschhaften Spiel der Farben und Formen zu zeigen.

Am Montag präsentierte der Fotograf in der Niedersächsischen Landesvertretung nun jenen großformatigen Bildband voller Schönheit und Eleganz, der das hält, was er verspricht: Lust auf Berlin zu machen, auf Verborgenes und auf Bekanntes, das der Mann mit dem Künstlerblick ganz neu zu sehen lehrt. Der Architekt und Fotograf, der 25 Bildbände zur Welt gebracht hat, gab sich auf die Frage, was eigentlich auf und unter den Dächern einer großen Stadt passiert, schon einmal die Antwort – in Paris. Da hat er quasi für das nächste Projekt geprobt. „In Berlin wollte ich keine Dachtypologie abliefern, sondern Spuren suchen und den Versuch wagen, das Wesen dieser so zerstörten, lange geteilten und dadurch wirklich einzigartigen Stadt zu ergründen“, sagt der 60-Jährige. Denn: „Dächer sind nicht nur die schützende Haut unserer Wohn- und Arbeitswelt, sondern auch die Visitenkarte einer Stadt, sie geben ihr mit ihren Glätten und Falten ein Gesicht.“

Wir wissen, dass unser Berlin-Gesicht so viele Sommersprossen hat, dass das schon wieder schön ist: Am denkmalgeschützten Bahnhof Schlesisches Tor bildet die Hochbahn ein Dach für eine Imbissbude, die ihre Heimat in einem ehemaligen, historischen Toilettenhäuschen gefunden hat. Stehtische und eine ausgediente Couch wirken nicht nur einladend, sie strahlen in ihren nachtgetränkten Farben so etwas wie den Kreuzberger Charme, so, als wolle das Bild sagen: Det jibtet nur hier, Leute.

Wenn Karl Johaentges unter Dächern fotografiert, dann tut er das mit Liebe zum Detail, egal, ob im Moabiter Knast oder zwischen den (inzwischen verlagerten) Akten unter dem Dach vom Kriminalgericht Moabit oder beim futuristischen „Walfisch“ von Frank O. Gehrys DZ-Bank am Pariser Platz.

Und irgendwann hat Kajo es satt, sich an Dachbalken den Kopf zu stoßen, dann zieht es ihn hinaus und hinauf, da wird der Mann, der alles andere als schwindelfrei ist, sehr leichtsinnig und klettert in der Oranienburger Straße mit dem Bezirksschornsteinfegermeister über die Dächer, linst in rußige Röhren – und schaut wenig später in eine Luxus-Suite des Hotels Adlon, wo sich der Gast, der 6500 Euro für eine Nacht gezahlt hat, hinter einer Zeitung versteckt. Ob Stadtbad Neukölln oder Dachgarten mit Pool, ob Tempelhof bei Nacht oder der Fliegerbunker in der Reinhardtstraße mit einer 450 Quadratmeter großen Wohnlandschaft obenauf – stets leben die Objekte durch das Spiel von Farbe, Schatten und Licht, und wenn der Fotograf den Himmel über Berlin als Kulisse brauchte, dann harrte er der Schäfchenwölkchen, die da irgendwann kamen, um der Stadt jenes Flair zu verpassen, das sie vielleicht nur in besonderen Momenten hat.

Diese Augenblicke hat der Fotokünstler gefangengenommen. Am Ende, nach dem Vorwort von Falk Jaeger und 240 bunten Seiten mit 280 Fotos: Staunen über die eigene Stadt und Freude darüber, was Neugier, ein guter Blick, Geduld und ein klares Objektiv Schönes hervorzubringen vermögen.

Karl Johaentges: Dächer über Berlin, Hinstorff-Verlag, 2008, 44 Euro.

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