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Stadtleben: Gefühle im Glashof

Jüdisches Museum ehrt Helmut Kohl

Den ersten Applaus bekam der Ort des Geschehens. Die 6. Verleihung des Preises für Verständigung und Toleranz feierte gestern Abend eine Premiere im neuen Glashof des Jüdischen Museums. Viele Gäste, die in den rot ausgeleuchteten, mit dunkelroten Rosen und Windlichtern festlich geschmückten Saal in der Form einer Laubhütte traten, sagten spontan: „Oh, wie schön“. Museumsdirektor Michael Blumenthal machte stolz darauf aufmerksam, dass, wer nach oben blickt, die festliche Gesellschaft im Spiegel sieht. Nach der Verkündung mancher Rekorde, die das Erfolgs-Museum auch im vergangenen Jahr wieder verbuchen konnte, kamen die Auszeichnungen.

Helmut Kohl hatte mit Partnerin Maike Richter bereits im Saal gesessen, als sich die Türen für die anderen Gäste öffneten, darunter Christina Rau, Anne Will, Iris Berben, Ulrich Wickert, der israelische Gesandte Ilan Mor und viele Top-Manager. Der Kanzler der Einheit absolviert derzeit fast eine Tournee durch Auszeichnungszeremonien. Salomon Korn, Vizepräsident des Zentralrats der Juden, begann seine Laudatio originellerweise, indem er Kohls Sinn für Selbstironie pries und ihn unter anderem zitierte mit der Bemerkung „Mehr Kohl kann man sich nicht vorstellen.“

Dann wurde er ernst. Es sei der von Helmut Kohl geförderten Zuwanderung von Juden aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion zu verdanken, dass die über 1700jährige deutsch-jüdische Geschichte statt einem unrühmlichen Ende einer hoffnungsvollen Zukunft entgegensehe. Unter seiner Kanzlerschaft habe sich die Mitgliederschaft der jüdischen Gemeinden fast verdreifacht. Inzwischen beträgt sie 110 000. Kohl, der noch mühsam zur Bühne schritt, aber der Hoffnung Ausdruck verlieh, dass eine baldige Knieoperation ihn von der Krücke befreie, dankte gerührt, gefühlvoll. Er erinnerte an seine Jugend, als „der Gedanke, dass aus Deutschland mal wieder was werden könne, weit entfernt war“und sagte, im Verhältnis zu Israel gehe es „zutiefst um das, was wir im Herzen haben, dass wir es trotzdem geschafft haben“. Die Gäste würdigten ihn mit stehendem Applaus.

Den bekam kurz vor Beginn des Gala-Dinners auch der zweite Preisträger des Abends, der amerikanische Historiker Fritz Stern, den der frühere US-Botschafter Richard Holbrooke mit warmen, persönlichen Worten, als „großartigen Lehrer für uns alle“ würdigte, als einen „lebenden Schatz“ sowohl für die USA als auch für Deutschland, als einen, der mehr denn je gebraucht werde „gegen das Vergessen“.

Fritz Stern, 1926 in Breslau in eine jüdische Arztfamilie hineingeboren, ging 1938 mit seinen Eltern in die USA. Dort wurde er zu einem herausragenden Vermittler zwischen Deutschen und Amerikanern, verband historische Analyse mit der Rolle des engagierten Beobachters. Seine Dankesrede war ein eindringliches Plädoyer gegen die Intoleranz: „Wir sind nicht tolerant von Natur aus. Es bleibt die Pflicht der Übung. In uns allen schlummert die Intoleranz.“ Von draußen leuchteten die mit kleinen Lampen geschmückten Bäume herein. Elisabeth Binder

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