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Sabine Klar in ihrem Laden "Fingerwerk & Augenweide".

© Thilo Rückeis

Geschäftsidee: Individuelle Daumenkinos für jedermann

Eine echte Nische hat Sabine Klar mit ihrem Laden "Fingerwerk & Augenweide" in Friedrichshain besetzt: Die 36-Jährige betreibt ein Fachgeschäft für Daumenkinos. Auf Wunsch werden auch Einzelstücke angefertigt.

Freddi quiekt nicht, Freddi schnarrt oder besser Freddi flippt, das ist der Fachausdruck fürs Abblättern eines Daumenkinos. Außerhalb Deutschlands heißen die Dinger nämlich „Flip Book“, was den flüchtigen Charakter von Freddis Darbietung, einer in die Kamera schnüffelnden Schnauze im Schnelldurchlauf, ganz gut beschreibt.

„Freddi, das kleine Wildschwein“ kostet knappe acht Euro und ist einer der Verkaufsschlager im Daumenkino-Fachgeschäft „Fingerwerk & Augenweide“, dem angeblich einzigen weltweit. Sabine Klar hat den im Retrolook ausstaffierten Laden für ihr nostalgisches Lieblingsmedium vor einem halben Jahr in der Kopernikusstraße in Friedrichshain aufgemacht. Und jetzt steht ein junger Grieche vorm Tresen, offensichtlich Tourist, ratscht – ähem, flippt – amüsiert ein Daumenkino nach dem anderen runter und fragt in gebrochenem Deutsch nach dem richtigen Geschenk für seine Schwester in Athen. Daumenkino-Fachverkäuferin Klar empfiehlt „Dornröschen“ als Fingerfilm mit Sprechblasen. 85 Seiten hat das Minimärchen, die abfotografierten Darsteller sind Papiertheaterfiguren aus dem 19. Jahrhundert und in fünf bis zehn Sekunden ist der Papierfilm schon vorbei. Trotzdem geht er so gut wie „Freddi“ oder „Pupinta beim Bügeln“, eine Art reduzierter Hausfrauenreport mit einer leicht geschürzten Dame beim Plätten.

„Ich mach’ auch Erotik“, sagt Sabine Klar, „um eins kommt nachher einer, der sich ausziehen will“. Natürlich für ein Daumenkino. Denn außer den 30 Fingerfilmen, die sie seit 2005 in ihrem gleichnamigen Daumenkinoverlag herausgebracht hat, und weiteren 100 Daumenkinos aus Berlin und aller Welt, die sie verkauft, gibt es im Laden auch die Möglichkeit, sich ein Unikat anfertigen zu lassen. Womöglich sogar Striptease für die Lieben, auch bei historischen Daumenkinos ein beliebtes Motiv. So ein Einzelstück für 65 Euro wird von den Fans für Geburtstagsglückwünsche, Partyeinladungen oder statt Hochzeitsalbum bestellt. Die dafür nötigen Fotos macht Sabine Klar – je nach Idee – draußen oder im Nebenraum des mit buntem Krimskrams gefüllten Ladens, wo auch die Minibühne für gelegentliche Kulturabende steht.

Sogar Firmen wie das Hotel Interconti entdecken das Daumenkino als Werbegimmick. 100 Stück – das war 2005 Sabine Klars erster Großauftrag als Daumenkinoverlegerin. Da hat sie in Köln die Requisite für den Kinofilm „Emmas Glück“ gemacht und als Geschenk zum Drehende für alle ein Daumenkino gemacht. Auch für Hauptdarsteller Jürgen Vogel.

Ein Jahr Tüfteln habe sie gebraucht, um Papierstärken, Bindungen und Zuschnitte so an die Bilder anzupassen, dass ein runder Bewegungsablauf entsteht, sagt Sabine Klar. Studiert hat die 36 Jahre alte Designerin nämlich nicht Daumenkino, sondern Mode und vorher auch noch Industriekauffrau gelernt.

Auf die Fingerfilme hat sie ausgerechnet ein Film gebracht, der zufällig mal nachts im Fernsehen lief. Die Sechzigerkomödie „Zur Sache, Schätzchen“, in der Werner Enke mit einem selbst gestrichelten Daumenkino Uschi Glas umgarnt. „Da wusste ich, das isses“, sagt Klar, die sich wie sonst nur noch der Berliner Künstler und „Daumenkinegraph“ Volker Gerling mit vollem Einsatz dem Fingerfilm verschrieben hat. Und das ausgerechnet im digitalen Zeitalter, wo doch der erste Vorläufer der kinematografischen Projektion, als die das Daumenkino gilt, immerhin schon 1868 in Großbritannien patentiert wurde. „Gerade deswegen“, sagt Sabine Klar. Ihre Mission sei es, wieder mehr Analogie in den hochtechnisierten Alltag zu bringen. „Ein Daumenkino braucht keine Bedienungsanleitung.“ Okay, aber verstehen muss man trotzdem nicht jedes auf Anhieb. Die mit einfachen Geschichten und Bewegungsabläufen schon, aber das mit den abstrakten Skulpturen? Auch nach zehnmal Flippen keine Klarheit, aber der Klang ist schön, ein hartes Schnurpsen. Das für Kati Witt klingt weicher. Klar hat es auf Bestellung von Katis bester Freundin als Geschenk zum Geburtstag der Ex-Eisprinzessin fabriziert. Zu sehen ist Kati Witt, wie sie lächelt und auf dem Eis Pirouetten dreht. Endlose fünf Sekunden lang.

Fingerwerk & Augenweide, Kopernikusstraße 1, Friedrichshain, Tel. 60927019, www.daumenkino-berlin.de

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