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Geschichte erleben: DDR-Museum vergrößert Ausstellung

Exponate berühren, Geschichte ertasten: Das DDR-Museum hat seine Ausstellungsfläche verdoppelt. Das Konzept überzeugt die Besucher.

Der neue sozialistische Mensch ist eine virtuelle Anziehpuppe. Beim ersten Klick erscheint auf dem Bildschirm ein Frauengesicht mit blauem Lidschatten und rotem Lippenstift. Klick, sie ist blond, trägt einen Pferdeschwanz, Klick, dazu einen Rollkragenpullover und Jeans. Klick, ihr hängt eine protzige Goldkette um den Hals. „Ich glaube nicht, dass du damit Punkte sammelst“, mischt sich die Mutter in das Spiel ihrer Tochter ein. „Du musst sie bescheidener anziehen“, rät sie und tippt auf dem Bildschirm herum: Die neue sozialistische Frau trägt nun eine Kittelschürze mit grünen Blumen.

„An dieser Station können Besucher lernen, auf was die DDR-Oberen beim Erscheinungsbild ihrer Bürger Wert legten. Und vielleicht erkennen sie, wie ähnlich sich die Vorlieben verschiedener Diktaturen waren“, sagt Robert Rückel, Direktor des DDR-Museums. Seit der Eröffnung im Juli 2006 haben mehr als 1,4 Millionen Menschen das private Museum besucht, gerade hat es seine Fläche auf über 1000 Quadratmeter verdoppelt. Rückel schätzt, dass 40 Prozent der Besucher aus dem Ausland kommen, der Rest teile sich in ehemalige DDR und ehemaliges Westdeutschland auf. Offenbar befriedigt das Museum ein Bedürfnis nach Alltagserinnerung, das andere Ausstellungen vernachlässigen, die DDR-Abteilung im Deutschen Historischen Museum etwa, oder das Haus am Checkpoint Charlie. „Dort waren wir heute Morgen“, sagt die Belgierin Bethy Van Cleemput. „Aber hier habe ich die DDR besser verstanden. Und die Küche hat mich an meine Jugend erinnert, in Belgien sahen die ähnlich aus“, erinnert sich die 52-Jährige. Ein weiterer, oft genannter Grund für den Erfolg: Besucher können Klappen öffnen, Schubladen aufziehen, Exponate anfassen.

Ein Nebelvorhang trennt die Ausstellung in zwei Teile: Der ältere Raum zeigt wie bisher den Alltag in der DDR. Hinter der „Nebelwand der Bürokratie“, wie Rückel sie nennt, kann der Besucher sich nun auch über die Herrschaftsstrukturen hinter diesem Alltag informieren. Im Mittelpunkt steht der Schreibtisch eines Funktionärs, im Halbkreis um den Tisch stehen Vitrinen zur FDJ, den Blockparteien und den Gewerkschaften, dann Schaukästen zu den Bruderstaaten, zur NVA und zum Staat. Wie bei einer Zwiebel sollen die Besucher Schicht für Schicht hinter die Fassade der Propaganda blicken. „Dann entdecken sie, was von vorne nicht zu sehen ist: die Gefängniszelle in Bautzen, die Privilegien der Obrigkeit, die Umweltverschmutzung“, erklärt Rückel.

Felix Paul findet heraus, warum die DDR-Hymne seit Anfang der 70er Jahre nicht mehr gesungen wurde. „Auf-er- stan-den aus Ru-i-nen“ tönt es aus dem Schaukasten, vor dem der Zwölfjährige aus Rosenheim steht. Wie bei einer Karaokemaschine läuft auf dem Bildschirm der Text mit, Felix soll erkennen, welche Zeilen ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr zur offiziellen Denke der DDR passten. „Deutschland, einig Vaterland“, schmettert es aus dem Lautsprecher, Felix drückt schnell auf einen roten Knopf.

Die Ausstellung von heute geht mehr in die Tiefe als die bisherige Schau, als die DDR kaum mehr als Trabi, Plattenbau und FKK war. „Nur der erste Ausstellungsraum wäre mir zu wenig gewesen. Da hätte ein entscheidender Teil der DDR gefehlt“, sagt Olaf Grimmer, ein 47-Jähriger aus Erlangen, der in West-Berlin groß wurde und zu Gast ist mit seinen Kindern. Ähnlich sieht es der stellvertretende Bundesvorsitzende der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft, Ernst-Otto Schönemann: „Die Erweiterung ist ein inhaltlicher Gewinn.“ Allerdings könnten einige Details noch nachdrücklicher dargestellt werden, um Außenstehenden die Schrecken des Regimes begreifbar zu machen.

Das Restaurant nebenan, die Domklause, schwelgt offen in „Ostalgie“: Auf der Karte stehen Soljanka, Steak au four und Berliner Bürgerbräu. Es kocht Hans-Jürgen Leucht, der zu DDR-Zeiten Sous-Chef der Domklause im ehemaligen Palasthotel war, unweit entfernt vom heutigen Restaurant. „Die DDR-Gerichte waren gut und sie sind es bis heute“, sagt Leucht. „Im Großen und Ganzen ging’s uns Ossis kulinarisch doch gut.“

Karl-Liebknecht-Straße 1; montags bis sonntags von 10 bis 20 Uhr, sonnabends bis 22 Uhr. Eintritt: 5,50 Euro.

Sophie Crocoll

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