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Horrortheater

© Doris Spiekermann-Klaas

Horrortheater: Mach mich rot mit Marmeladenblut

Die Gattung war in Deutschland schon in Vergessenheit geraten. In Prenzlauer Berg wird das 100 Jahre alte Genre Horrortheater nun wieder belebt.

„Tu es nicht, bleib ihm fern!“ würde man der jungen Frau auf der Bühne am liebsten zurufen. Doch als Zuschauer sitzt man bloß angespannt und stumm in seinem Sessel. Hilflos muss man mit ansehen, wie Sophie in ihr Verderben läuft: Einst hat sie ihrem Freund, als er sie verlassen wollte, Säure ins Gesicht geschüttet. Nach ihrer Gefängnisstrafe besucht sie Niklas nun in seiner kleinen Dachkammer. Dort wünscht sich der Versehrte einen letzten Kuss von ihr. Doch so harmlos, wie er tut, scheint ihr früherer Freund nicht zu sein ...

„Horrortheater sollte wie ein guter Horrorfilm funktionieren: Wie in ’Shining’ fließt Blut nie zum Selbstzweck. Das Wichtigste sind Spannung und richtiges Timing“, sagt Tyler Olsen, Regisseur des Stücks „Final Kiss“. Zusammen mit zwei weiteren etwa halbstündigen Stücken des Kanadiers wird „Der letzte Kuss“ am Donnerstag im Acud in Prenzlauer Berg uraufgeführt: Zwei Horrorstücke und in der Mitte eine Sex-Farce, damit Grauen und Lachen sauber voneinander getrennt sind. „Denn es geht nicht darum, Grausamkeit lächerlich zu machen. Damit würde ich diese Theaterform zerstören“, sagt Olsen. In Kanada und den USA hat der 31-Jährige schon zahlreiche Grusel- und Horrorstücke auf die Bühne gebracht.

Die Gattung selbst ist schon über hundert Jahre alt, ihre Wiege war das Pariser Theater „Grand Guignol“. Doch während das Genre in den USA heute einen kleinen Boom erlebt, ist es in Deutschland nahezu vollkommen in Vergessenheit geraten. In Berlin betritt Olsen mit seinen vier deutschen Schauspielern also komplettes Neuland. Produzent Daniel Megnet, der Olsen an einer kalifornischen Theaterschule kennenlernte und der seit zwei Jahren in Neukölln lebt, fasziniert das Genre aus verschiedenen Gründen: „Das Publikum kann sich nicht passiv zurücklehnen, es ist emotional viel stärker involviert als sonst im Theater. Und für die Schauspieler ist es ebenfalls eine große Herausforderung“, sagt der 43-Jährige. Denn auch das Ensemble, das in allen Stücken eines Abends dasselbe ist, bewegt sich in seiner Darstellung extremer Emotionen stets am Limit. Dazu muss es noch schwierige Tricks ausführen, damit das Blut – Olsen bevorzugt Cranberry-Marmelade als Ersatz – für die Zuschauer möglichst überraschend fließt, platscht und spritzt. „Als Schauspielerin sind mein Kopf und mein Körper hier gleichermaßen gefordert. Es ist wie Achterbahnfahren und macht großen Spaß“, sagt Susanne Becker, die zusammen mit Tom Sommerlatte das Pärchen in „Final Kiss“ spielt. Gut ansehen könne sich die 32-Jährige Horrorfilme selbst zwar nicht - das Spielen der grausigen Szenen wäre für sie aber innerlich von einer gewissen Leichtigkeit getragen.

Doch warum sollte es angesichts all des realen Leidens in der Welt sinnvoll sein, die Menschen mit noch mehr Grausamkeit zu konfrontieren? „Weil wir alle in einer Welt leben, die nur scheinbar heil ist. Tatsächlich erreicht uns das Grauen der Kriege, des Todes und Hungers im Fernsehen doch gar nicht“, sagt Megnet. Er erhoffe sich vom unmittelbaren Erleben der dunklen Seiten der menschlichen Natur im Horrortheater eine Sensibilisierung des Zuschauers für die Schmerzen des anderen. Tatsächlich fühlt man sich als Zuschauer nach dem „letzten Kuss“ eher hellwach als abgestumpft, eher befreit als gelähmt – und vor allem sehr gut unterhalten. Schauspieler Sommerlatte drückt diese Gefühle etwas plastischer aus: Man bekomme vom Besuch eines gut gemachten Horrortheaters keine Alpträume, sagt der 24-jährige Charlottenburger den Skeptikern unter seinen Freunden. Das Gegenteil sei der Fall: „Es ist ein guter Anfang für einen tollen Abend.

Acud Theater, Veteranenstr. 21, 22. bis 25. Oktober, 20 Uhr, ab 18 Jahren, Karten für zehn Euro unter Tel. 4491067 oder www.acud.de

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