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© Weber

Interview mit Bodo Mrozek: "Viele Ostdeutsche reagieren zu Recht empfindlich"

Bodo Mrozek sammelt bedrohte Wörter und schreibt darüber Bücher. Im Interview mit Tagesspiegel Online zum Tag der Deutschen Einheit verrät er, was er über Ost-West- Sprachunterschiede weiß.

Bodo Mrozek, geboren 1968, studierte Geschichte und Literatur und ist Autor des zweibändigen „Lexikons der bedrohten Wörter“, das im Rowohlt-Verlag erscheint. Er hat die Internetseite www.bedrohte-woerter.de ins Leben gerufen und die „Aktion Artenschutz“ gegründet, auf der Hinweise auf veraltende Wörter in einer Roten Liste gesammelt werden. Er ist Initiator eines Wettbewerbs für das „schönste bedrohte Wort“ und lebt als Journalist und Historiker in Berlin.

Herr Mrozek, erkennen Sie im Jahre 18 der Einheit einen Ostberliner noch an der Sprache?

Manchmal erkenne ich ihn sogar schon am Dialekt.

Wieso, berlinert der „Ossi“ anders?

Über „Ossi“ und „Wessi“ sollten wir auch gleich reden, aber zunächst mal: Ja, im Ostteil der Stadt ist zu DDR-Zeiten stärker berlinert worden. Da zog man zum Beispiel das „e“ in die Länge, sagte also: „Weeeß ick nich“, während man in Westberlin das „e“ oft fast wie ein „i“ aussprach, es in jedem Fall aber verkürzte, was sich wie „Wess ick nich“ anhörte.

Gab’s dafür Gründe?

Klar. An Westberliner Schulen versuchte man, den Kindern das Berlinern abzugewöhnen, weil es als Zeichen der Unbildung galt. In Ostberlin hingegen war man stolz auf den Straßendialekt. Schließlich lebte man ja in einem Arbeiter- und Bauernstaat. Da hatte man ein natürliches Verhältnis zum Dialekt. Fast wie in Bayern. Wobei es dort natürlich andere Gründe hatte und hat.

Im nächsten Monat erscheint eine neue Gesamtausgabe Ihres „Lexikon der bedrohten Wörter“. Sterben Wörter auch wegen der deutschen Einheit aus?

Natürlich, das lässt sich nicht vermeiden. Die deutsche Sprache war vor der Wende zweigeteilt. Wobei die Ost-Wörter natürlich gefährdeter sind, weil es die DDR ja nicht mehr gibt.

Der „Weihnachtsengel“ hat die berühmt-berüchtigte „geflügelte Jahresendfigur“ also endgültig verdrängt.

Ja, wobei solche ideologisch bedingten Sprachschöpfungen auch zu DDR-Zeiten nicht den Sprung in die Umgangssprache schafften. Viele Ostdeutsche reagieren daher zu Recht empfindlich, wenn man ihnen unterstellt, dass sie das Wort je gebraucht hätten. Verschwunden sind aber auch viele West-Wörter, die mit der Teilung zusammenhingen.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel die „Berlin-Zulage“, was die alten Westberliner heute noch schmerzt. Und dann natürlich viele Wörter, die den Kalten Krieg in der Sprache ausfochten: im Osten der „Antifaschistische Schutzwall“, im Westen das „Zonenrandgebiet“.

Kalter Krieg in der Sprache, gab es das nicht nur in der DDR?

Durchaus nicht. An meiner Westberliner Schule durfte man beispielsweise nicht „BRD“ sagen oder schreiben. Es hieß „Bundesrepublik“, „BRD“ sagte man nur im DDR-Fernsehen. Irgendwann hieß es dann aber, man dürfe jetzt auch „BRD“ verwenden. Aber manche ältere Westberliner zucken da heute noch zusammen, weil sie es für DDR-Jargon halten.

Und was ist mit dem „Broiler“ und der „Ketwurst“?

Der „Broiler“ hat überlebt, der steht jetzt auch an Tafeln der türkischen Brathähnchen-Buden in Kreuzberg angeschrieben. Für mein Buch habe ich recherchiert, dass er vom Kombinat Industrielle Mast (KIM) erfunden wurde, wie übrigens auch die Grilletta, eine Art Hamburger, die heute aber in Berlin weniger bekannt ist.

Und die Ketwurst?

Die soll die HO-Gaststätte „Zum Fernsehturm“ im Jahr 1977 erfunden haben, um die Massen schneller zu sättigen. Dabei wurden die Brötchen nicht halbiert, sondern auf heiße Stangen gesteckt und so schneller geröstet. Dafür gab es 1979 übrigens eine „Anerkennung für ausgezeichnete Leistungen für das Exponat Versorgungslösung Ketwurst“.

Was für ein bürokratisches Gefasel. Typisch DDR?

Keineswegs, ich würde eher sagen: typisch deutsch. Ich habe gerade von einem Handwerksmeister erfahren, der zu DDR-Zeiten Messer- und Scherenschleifer gelernt hatte. Der musste sich nach der Wende in Schneidwerkzeugmechanikermeister umbenennen. Das Wort Scherenschleifer ist im westdeutschen Behördendeutsch stumpf geworden.

Sie wollten noch etwas zu „Ossis“ und „Wessis“ sagen?

Ja, weil es die Westberliner nach der Wende völlig kalt erwischt hat, dass sie plötzlich „Wessis“ genannt wurden. „Wessis“ waren in ihren Augen und in ihrem Sprachgebrauch bis dahin die Westdeutschen gewesen, also Leute aus der alten Bundesrepublik mit typischem Touristenverhalten. In den Fußballstadien wurden westdeutsche Mannschaften mit Gesängen „Ihr seid Wessis, ihr schlaft unter Brücken“ verhöhnt. „Wessi“ war also eher ein Schimpfwort und nun sollte man plötzlich selber einer sein.

Müssten denn „Ossis“ und „Wessis“ 18 Jahre nach der Vereinigung nicht endlich aus dem Sprachgebrauch verschwinden?

So schnell geht es nun auch wieder nicht. Aber man hört kaum noch Kampfbegriffe wie „Besserwessi“ oder „Jammerossi“. Auch Worte wie „Neufünfland“ oder „Beitrittsgebiet“ sind fast aus dem Sprachgebrauch verschwunden. Das ist ein gutes Zeichen. Sprache ist überhaupt ein wichtiger Indikator für die das Zusammenwachsen. Denn nichts lässt sich schwerer bevormunden als der Volksmund.

Das Gespräch führte Sandra Dassler.

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