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Jugendherberge

© Thilo Rückeis

Jugendherbergen: Und täglich grüßt der Hagebuttentee

Die Jugendherberge wird 100 Jahre alt - sogar Bundespräsident Horst Köhler gehört zu den Gratulanten. Eine Jugendherberge in Tiergarten wiederlegt das Klischee, dort ist es fast wie in einem Hotel - aber eben nicht ganz.

Zum Frühstück gibt es Malventee, Salbeitee und Pfefferminztee. Sogar ein Wellnesstee für „Körper und Seele“ steht zur Auswahl. Nur einer fehlt: der Hagebuttentee. Doch Reanthong Thampuisit, der stellvertretende Küchenchef der Jugendherberge in Tiergarten, kann beruhigen: Keine Sorge, „wir haben zwanzig Sorten Tee“, sagt er, „am Buffet gibt’s nur eine Auswahl“. Es gibt ihn also noch, den legendären roten Hagebuttentee, der in jeder Jugendherberge aus Thermoskannen gezapft wird, die irgendwie immer undicht sind und waren. Der Hagebuttentee, der zur Jugendherberge gehört wie Stockbetten, Tischtennisplatte und Graubrot.

Das Frühstück in der Jugendherberge „Berlin International“ nahe der Neuen Nationalgalerie widerlegt die alten Klischees allerdings. Den Tee gibt es längst in Beuteln. Und am Buffet stapeln sich Käse und Wurst, vegetarische Pasteten, frische Äpfel und sogar Blutorangen. Fast ist es wie im Hotel, aber nicht ganz. Schließlich gibt es noch immer diese weißen Tassen, die meterhoch gestapelt werden können. Diese Resteeimer. Diesen Tischabwischdienst. Und irgendwie schmeckt es ja auch wie Jugendherberge: „Die Brötchen sind zu hart!“, mäkeln die Jungs einer Schulklasse aus Neumünster. Sonst sei aber alles ganz okay. Gestern waren sie bei Madame Taussauds Wachsfiguren. Und um sechs Uhr abends dann zurück in die Herberge. Müde sehen sie aus. Ihre Nacht, sagen sie, ging bis drei Uhr morgens. Erst dann entdeckte der Lehrer den 15-jährigen Jeremy im Mädchenzimmer, erst dann kehrte Ruhe in den Stockbetten ein.

An diesem Freitagabend steht der 100. Geburtstag der Jugendherberge an, nicht der in Tiergarten, sondern aller in ganz Deutschland. Bundespräsident Horst Köhler will im Regierungsviertel persönlich gratulieren, immerhin gab es in den vergangenen hundert Jahren 615 Millionen Übernachtungen in all den Häusern.

Anno 1909 war der Lehrer Richard Schirrmann mit Schülern in ein Gewitter geraten. Eher zufällig kamen sie in einer Schule unter. Während draußen der Regen prasselte, so sagt die Legende, hatte Schirrmann die Idee, ein Netzwerk von günstigen Herbergen zu gründen. Heute gibt es 550 Jugendherbergen in Deutschland, weltweit sind es mehr als 4000.

Hagebuttentee und Stockbetten gab es schon vor hundert Jahren. Aber sonst würde Schirrmann die Jugendherberge Berlin International kaum erkennen. Das PVC des Fußbodens ist in einem psychedelischen Rosa gehalten. Es gibt W-Lan, Flachbildschirme und eine Bar, die Bier ausschenkt. Und Christian Naumann sieht sich nicht etwa als „den Herbergsvater mit Gitarre am Lagerfeuer“; er nennt sich lieber „Hostel Manager“.

In Berlin gibt es drei Jugendherbergen, eine vierte eröffnet 2010 in der Köpenicker Wuhlheide. Jedes Haus besitzt ein eigenes Profil. „Hier im Zentrum sind wir eher hip und international“, sagt Naumann, die Angestellten sprechen mindestens zwei Sprachen. Die Jugendherberge am Wannsee richtet sich an Familien, die auch in die Natur wollen. Und die Ernst-Reuter-Herberge am Hermsdorfer Damm ist eine Mischung aus beiden.

Gerade in Städten wie Berlin zwingt die Konkurrenz der Hostelketten die Herbergen dazu, mehr anzubieten als günstiges Essen und Übernachten. Mit einer Hostelkette streiten sich die Jugendherbergen sogar vor dem Bundesgerichtshof. Es geht um das Recht an dem Markennamen „Jugendherberge“. Bis zum endgültigen Urteil darf sich nur die Jugendherberge auch so nennen.

Für die Schüler aus Neumünster gibt es wichtigere Dinge, sie freuen sich auf ihre letzte kurze Nacht. Jeremy feiert seinen 16. Geburtstag, wo auch immer. Und zum Frühstück gibt es dann wieder Hagebuttentee. Oder Malventee. Oder Pfefferminz.

Daniel Stender

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