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Kreuzberger Mehringhof: Kollektiver Geburtstag

Das alternative Geschäft im Kreuzberger Mehringhof blüht – und das bereits seit 30 Jahren. Ein Jubliäumsbesuch im politischen Fahrradladen.

Im Plenum gebe es derzeit „die Tendenz, nichts nach außen zu geben“, sagt die Frau von der „Schule für Erwachsenenbildung“. Sie würde zwar gerne was zur Schule sagen, aber ohne Genehmigung des Plenums sei ihr das nicht möglich. So konsequent wird Demokratie gelebt im Kreuzberger Mehringhof, noch 30 Jahre nach Gründung. Da kann man nicht meckern. Muss der Jubiläums-Artikel eben anders beginnen. Stehen auffällig viele Fahrräder im Hof an der Gneisenaustraße 2a herum, die klapprigen sind von den Schülern der Schule für Erwachsenenbildung, die neuen vom Fahrradladen. Mittendrin ein alter Tisch mit Schraubstock. Warum der da steht, weiß keiner.

Die vom Fahrradladen sehen das mit der Demokratie etwas gelassener. Peter hat den Laden vor 29 Jahren mit seinem besten Kumpel Alwin aufgemacht. Sie gingen zu den Leuten vom Handwerkerkollektiv „Hand und Fuß“, die hatten eine Werkstatt, in der kaum noch gewerkelt wurde. So fing das an mit dem Laden. Peter und Alwin sammelten Radleichen von Schrottplätzen und bogen sie wieder zurecht. Heute, sagt Peter nicht ohne Stolz, sind sie eines der größten Fahrradgeschäfte in Kreuzberg.

Peters Leben, das schon 51 Jahre währt, ist mit dem Mehringhof eng verflochten. Er ist Abbrecher der Schule für Erwachsenenbildung, hat oft im „Specki“ gesessen, der alten Punkerkneipe, die später Ex hieß, dann Ex-Ex und heute Clash. Bei Ökotopia, dem Bioversandhaus (inzwischen ausgezogen), kaufte er Wein und Kaffee, im Graph Druckula-Druckkollektiv gibt er Werbematerialien in Auftrag und nebenan, im linken Buchladen „Schwarze Risse“ deckt er seinen intellektuellen Bedarf.

Peter sagt, der Mehringhof sei ein Paradies, immer noch und schon immer gewesen. „Wenn ich hier reinkomme, denke ich, die Zeit ist stehen geblieben.“ Die alten Gemäuer, der Wein an den Backsteinfassaden, die immergleichen Gesichter, die Stille mitten in der Stadt. Was ihn stört? Er denkt, die Unterlippe wandert mundeinwärts. Peter sucht eine Antwort, er sei ein langsamer Mensch, Schwabe, nicht unkompliziert, dann folgt tastend ein „Näh“, dann noch eins. „Da fällt mir nichts ein.“ Dabei zeigt ein Foto aus den 80er Jahren unmissverständlich, wie Peter auf einer Mieterversammlung auf seinem linken Arm eingeschlafen ist. Solche Versammlungen gibt es noch heute alle zwei Monate. Besprochen wird, was anliegt, neue Isolierfenster oder nicht, wer darf neu in den Mehringhof einziehen oder nicht, bleibt man besser eine Mieter-GmbH oder mausert sich zur Stiftung. Das zieht sich dann.

Der Mehringhof ist – anders als viele meinen – nie besetzt worden. Die Gründungsinitiativen – politische Gruppen und Gewerbebetriebe – kauften das Gelände für rund zwei Millionen Mark. „Die Leute waren links, kamen aber nicht unbedingt aus der Besetzerszene“, sagt Peter. Er selbst muss lange überlegen, ob er wirklich „links“ ist. Er findet sich eher „demokratisch-anarchistisch“. Es nervt ihn, wenn jemand fragt, was an seinem Laden alternativ sei. „Ich mache nichts alternativ, sondern so, wie ich denke.“

Rosanna, etwas jünger als Peter, findet es schon etwas schade, dass sich kaum noch politische Diskussionen im Hof entwickelten, dass man sich vor wichtigen Demos nicht mehr hier treffe. Nach dem Fall der Mauer hat sich die Szene langsam in den Osten verlagert. „Zuerst kamen sie noch und wollten wissen, wie man ein Haus besetzt“, erinnert sich Rosanna, erfahrene Kommunardin, einst aus Bayern nach Kreuzberg geflüchtet. Jetzt nimmt sie bei der IHK die Prüfungen „zur/zum Einzelhandelskauffrau/mann Fahrrad“ ab.

An die Polizeirazzien vor zehn und mehr als 20 Jahren können sie sich noch dunkel erinnern. Der Hausmeister habe den Generalschlüssel gezückt, die Polizisten hätten die Türen dann doch lieber aufgebrochen. „Die wollten den Anfängern zeigen, wie man das macht“, sagt Rosanna. 1987 war eine Razzia im Mehringhof der Zündfunke für die ersten großen Maikrawalle in Kreuzberg, 1999 hatte ein Mitglied der „Revolutionären Zellen“ ein angebliches Sprengstoffversteck ausgeplaudert. Gefunden wurde nichts.

Der Mix aus Gewerbe und politischen Initiativen funktioniere immer noch gut, sagt Peter. Jeder zahle die gleiche günstige Miete, von der Medizinischen Flüchtlingshilfe über das Mehringhof-Theater bis zum „Verbrecher Verlag“ oder der „Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland – ATIF“. 120 Menschen finden hier Arbeit. Früher deckte sich die Szene im Mehringhof mit dem Lebensnotwendigen ein. Heute kämen vor allem Lehrer, Mediziner, Studenten – „gebildete Kundschaft“ in den Fahrradladen, sagt Peter. Bei ihm kann ein Velo 400 oder auch 4000 Euro kosten. Peter legt viel Wert auf Beratung. Jeder bekomme sein Rad genau so, wie er’s brauche. Eine der Hausmarken heißt „Utopia“.

Zum 30. Geburtstag gibt es am heutigen Sonnabend ab 14 Uhr ein großes Fest, mit Filmen, Bands, Party und Verpflegung. Näheres im Internet: www.mehringhof.de

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