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Stadtleben: Kuchen auf Anfrage

Matthias Keidtels neuer Holm-Roman Der Held ist noch immer nicht erwachsen

An düsteren Wintertagen kann man trübsinnig werden – oder den neuen Holm-Roman lesen. Denn der ist genauso hintergründig witzig wie Matthias Keidtels erstes Werk um seinen verschrobenen Helden Holm. Da hatte der aus der Zeit gefallene Enddreißiger versucht, erwachsen zu werden – und war gescheitert. Nun ist er „zu bester ,Tagesschau’-Zeit, im Schatten der Weltnachrichten“ zu den Eltern nach Rudow zurückgekehrt, bewohnt wieder sein Kinderzimmer, fährt mit seiner Mutter ins Kaufhaus in die Wilmersdorfer Straße und später zum Kaffeetrinken ins Mövenpick im Europa-Center. Leider haben sie da renoviert. Kuchen gibt es nur „auf Anfrage“, stattdessen gebratene Hühnerbrust auf Bambussprossen.

In Rudow dagegen scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. „Das grüne Kleid bei Susi’s Moden, hatte es nicht schon vor einem Jahr dort gehangen?“, fragt sich Holm. Was er aus seinem Leben machen soll, ist ihm weiter unklar. Die Zukunft weist Reinhard Mey, der ihn vom Poster an der Kinderzimmerwand aus anblickt. In Frankreich haben sie eine Rose zu Ehren des deutschen Sängers gezüchtet, die will Holm nun als Berlin-Souvenir vermarkten. Eine geniale Idee. Holm besorgt sich, schwierig genug, eine Fahrkarte nach Orléans und strandet am Berliner Hauptbahnhof. Eine defekte Weiche hat den Fernverkehr lahmgelegt.

Welch eine Schmach für Holm, müsste er nach wenigen Stunden schon zurückkehren. Er geht in ein Hotel am Hackeschen Markt. Abgesehen davon, dass der Ostteil Berlins – nie zuvor ist er hier gewesen – Abenteuer genug ist, überstürzen sich die Ereignisse. Das fängt beim Frühstücksbüffet an. Das kannte er vom Österreich-Urlaub mit seinen Eltern und aus der Fritz-Erler-Allee. Dort hatte seine Tante ein solches Büffet zu kopieren versucht, aber da wie immer nur „ein paar Scheiben Emmentaler, zwei Brötchen, ein halb leeres Glas Kirschmarmelade und ein aufgerissener Becher Frühlingsquark“ zur Auswahl standen, kam keine Ferienstimmung auf. Die Absurditäten des Büfetts beschreibt Matthias Keidtel auf mehreren Seiten, man kommt aus dem Schmunzeln nicht heraus.

Holm kauft sich in der Oranienburger Straße eine Sonnenbrille und sieht die Welt nunmehr „hartversiegelt in Pilotgrau“. Er bringt es zum Türsteher, schafft es, die Frauenstimme im Navigationsgerät eines Mercedes aus dem Konzept zu bringen, scheitert aber bei einer Kurdenhochzeit daran, zerkaute Sonnenblumenkerne elegant auf den Boden zu spucken. Keidtel beschreibt jeden Gedanken, jede Beobachtung seines Helden und zieht den Witz aus dem Alltäglichen. Nehmen wir das indische Lokal, in dem Holm seine neue Flamme beeindrucken will. Da hat er sich nun auf der zehnseitigen Karte den Namen des gewünschten Gerichts mühevoll eingeprägt. Doch als er dann weltgewandt bestellen will, möchte der Kellner nur die Nummer des Gerichts wissen. Trotzdem, Holm stellt sich nicht mehr ganz so linkisch an und schenkt einer Frau jetzt tatsächlich Blumen – statt flüssiger Seife in der Familienpackung.

— Matthias Keidtel: Das Leben geht weiter. Ein Holm-Roman. Manhattan Verlag, München. 368 Seiten, 16, 95 Euro.

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