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Pierre Gagnaire

© AFP

Kulinarisches Zentrum: Starke Herdanziehung in Berlin

Nicht nur politisch ist Berlin das Zentrum, sondern bald auch kulinarisch. Und das neue Jahr könnte für die Gastroszene noch spannender werden.

Großer Paukenschlag zum Jahresende: zwei neue Zwei-Sterne-Restaurants für Berlin. Noch nie hatte Berlin mehr als eins auf einmal, angefangen bei Henry Levys „Maître“ in den Siebzigern, gefolgt von Siegfried Rockendorf und aktuell Christian Lohse („Fischers Fritz“).

Nun sind zwei hinzugekommen, „Lorenz Adlon“ und „Reinstoff“, und es scheint, als habe damit eine neue Phase in der kulinarischen Entwicklung begonnen, die aus der politischen Hauptstadt auch eine gastronomische machen könnte – dazu fehlt vor allem noch das alles überstrahlende Drei-Sterne-Haus, das nicht wirklich in Sicht ist, denn so etwas ist nur mit einem großzügigen Sponsor oder einem extrem ehrgeizigen Hotel im Hintergrund zu machen.

Wer sich für eine Rangliste erwärmen kann, die aus den Bewertungen der verschiedenen Restaurantführer eine (pseudo-)objektive Übersicht filtert, der mag bei www.restaurant-ranglisten.de nachlesen. Das soeben aktualisierte Ergebnis für Berlin lautet: „Fischers Fritz“ vor „Lorenz Adlon“, „Margaux“, „Tim Raue“ und „First Floor“. Raue, im letzten Jahr noch auf dem 14. Rang, hat mit 19 Punkten im Gault-Millau und als „Koch des Jahres“ im „Feinschmecker“ den größten Sprung nach oben geschafft. Auf den nächsten fünf Plätzen liegen „Facil“, „Hugos“, „Quadriga“, „Rutz“ und „Reinstoff“.

Gleichzeitig scheint sich aber die Stimmung nicht unbedingt verbessert zu haben. Denn die neuen Michelin-Sterne – auch der für das „Horváth“ – wurden merkwürdig verdruckst aufgenommen, nichts wurde bekannt von irgendwelchen Feiern, die noch vor Jahren in solchen Fällen obligatorisch gewesen wären. Das Gefühl der guten Berliner Köche, einer Gruppe anzugehören, scheint langsam wieder dem Einzelkämpfertum zu weichen, kein Wunder, wenn sich zwei herausragende Könner wie Michael Hoffmann und Tim Raue ein weiteres Jahr in der Warteschlange für Stern zwei anstellen müssen.

Immerhin herrscht allgemeiner Ehrgeiz. Kaum ein bekanntes Restaurant hat in seinen Leistungen nachgelassen, sieht man von dem einen oder anderen stilistischen Irrweg ab. Und, vielleicht noch wichtiger: Es hat auch keine bemerkenswerte Schließung gegeben, die über die Grenze des jeweiligen Bezirks von Bedeutung gewesen wäre. Zwar ist das ungeliebte „San Nicci“ hinweggerafft worden, und ein paar angestrengte Neugründungen (z.B. „Wahllokal“, „IneS“, „Charlotte 43“) haben das rettende Ufer nicht erreicht, das ist vermutlich normal. Auf der anderen Seite gab es zuletzt wenig bis überhaupt nichts Neues, der Gründermut scheint auf sehr niedrigem Niveau angelangt zu sein. Selbst Markus Semmler hat sein Comeback mit dem „Restaurant“ ja nicht von Null gestartet, sondern mit einem florierenden Cateringunternehmen im Hintergrund. Eine gewisse Aufmerksamkeit hat das umgezogene vegane „La Mano Verde“ auf sich gezogen, das nun den extrem heiklen Platz hinter dem Kempinski Bristol aufzuwerten versucht.

Insofern können neue Impulse gegenwärtig nur von außen erwartet werden. Bekanntlich hat Christian Rach ein Auge auf ein Restaurant am Hausvogteiplatz geworfen, aber das vor allem, weil er für RTL wieder ein Restaurant für gefallene Jugendliche gründet, das aber mit Sicherheit weit unterhalb der Sterne-Ebene anzusiedeln ist, wenn es denn überhaupt in die Gänge kommt.

Die weitaus größte Aufmerksamkeit gebührt Pierre Gagnaire: Der Pariser Drei-Sterne-Koch will bekanntlich im Waldorf Astoria am Zoo einen Ableger eröffnen, das „Les Solistes“ mit dem aus Belgien stammenden Küchenchef Roel Lintermans. Doch das soll auf keinen Fall eine Küche mit Drei-Sterne-Ehrgeiz sein, und es trägt sicher nicht zur allgemeinen Motivation bei, dass die ursprünglich für Spätherbst 2011 vorgesehene Eröffnung nun irgendwo ins Frühjahr verschoben wurde. Mit diesem Problem schlägt sich auch das Boutique-Hotel „Das Stue“ in der Drakestraße am Tiergartenrand herum, das eigentlich schon seit einem Jahr in Betrieb sein sollte und nun ebenfalls das kommende Frühjahr als Eröffnungstermin meldet; hier ist der spanische Sterne-Koch Paco Pérez als Inspirator im Geschäft.

Was hat sich in Brandenburg getan? So gut wie nichts. „17fuffzig“ in Burg vor dem Bayrischen Haus in Potsdam, dem „Goldenen Hahn“ in Finsterwalde, „Speckers Gasthaus“ und der „Alten Schule“ in Reichenwalde, das ist mehr oder weniger seit Jahren so, und es kommt auch kaum etwas Neues auf gehobenem Niveau hinzu. Fürs nächste Jahr dürfte immerhin einiges zu erwarten sein von Philipp Liebisch, der das ewig schwankende „Sandak“ in Senftenberg auf Kurs bringen will, und auch Steffen Schwarz, früher im Potsdamer „Jägertor“ erfolgreich, scheint an seiner neuen Wirkungsstätte, dem Dorint Sanssouci, noch einiges vorzuhaben. Andere einstige Vorzeigebetriebe wie Schloss Hubertushöhe, die Villa Contessa in Bad Saarow oder auch das „Fiore“ im Hotel am Jägertor, haben sich dagegen von der Spitze verabschiedet. Ein Comeback scheint ziemlich ausgeschlossen.

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