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Kulturbrauerei: Die Backsteinbastei

Kommerz mit Herz: 1990 besetzten Kulturverrückte das alte Schultheiss-Areal in Prenzlauer Berg Ab 1. September feiert die Kulturbrauerei ihr 20-jähriges Bestehen

Kesselhaus, Maschinenhaus, Theater Ramba Zamba, Soda Club, Musikschule Tonart, Frannz, Alte Kantine, Russisches Theater, Literaturwerkstatt, Palais, Kino in der Kulturbrauerei, NBI, Sammlung Industrielle Gestaltung, 17 Hippies – wenn man nicht wenigstens die nenne, brauche man gar nicht erst anzufangen, über die Kulturbrauerei zu reden, sagen die Leute von der Kulturbrauerei. Hiermit erledigt. Ändert aber nichts am Dilemma, niemals den Wust von gewerblichen Aktivitäten, gemeinnützigem Engagement und vor allem Menschen und Ideen ganz vorstellen zu können, die die trutzige Backsteinbastei zwischen Schönhauser Allee, Sredzki- und Danziger Straße zu dem machen, was sie ist.

Von dem zu reden, wie sie wurde, was sie ist, ist noch komplizierter. Der Schnelldurchlauf klingt so: Im 19. Jahrhundert erbaute Schultheiss-Brauerei, wilhelminisch-repräsentativ, na klar, eine Kleinstadt in der Stadt, Brauereibetrieb bis 1967, geschütztes Baudenkmal, 25 000 Quadratmeter groß, zu DDR-Zeiten Möbellager und Sitz des legendären Livemusikclubs Franz, zur Wende eine ziemliche Ruine, 1990 Besetzung durch gut 20 bunt zusammengewürfelte Kulturvisionäre wie Hein Köster von der Sammlung Industrielle Gestaltung, Architekt Stefan Weiß, Frank Isenthal, Ex-Chef vom Franz, jetzt vom Soda Club, unterstützt durch Musikerinnen wie Angelika Weiz und Tamara Danz oder den damaligen Kulturstadtrat Thomas Flierl, im Besitz der Treuhandgesellschaft, heute der bundeseigenen Immobilienfirma TLG, unterstützt vom Land Berlin, 1996 gemietet von der Kulturbrauerei GmbH, 2000 Ende der millionenschweren Sanierung, 2002 Finanznot und Neukonzipierung, bis heute Mischnutzung durch rund 40 Mieter, darunter 15 Kulturwirtschaftler, 2500 Veranstaltungen im Jahr, 1 Million Besucher. Anders ausgedrückt: Die Kulturbrauerei ist Publikumsmagnet, Flaggschiff oder besser das Herz des Prenzlauer Bergs. Allemal ein Grund zum Feiern, auch wenn in den letzten 20 Jahren längst nicht alles wahr geworden ist, was sich die Geländeeroberer von einst erträumt haben. Ein ganzes Jahr lang wird ab dem 1. September, wo das Freiluftspektakel „Der Frieden – Ein Fest“ des Theaters Ramba Zamba samt Feuerwerk und Party das Startsignal setzt, immer mal wieder gefetet.

Wie alles begann? „Heftig, kräftezehrend, eine absolut atemlose Zeit“, sagt Stefan Weiß, 1989 Mitinitiator und 1990 Mitbesetzer des Geländes. 38 Jahre war er damals im Aufbruchsfieber der wirren Wendezeit, jetzt sitzt er samt Architektenbüro, mit dem er neben der Kulturbrauerei auch die Hackeschen Höfe saniert hat, immer noch in Prenzlauer Berg, um die Ecke an der Schönhauser Allee. Die Vision war, die Brauerei als Platz für eine selbstverwaltete kulturelle Nutzung zu sichern. Eine Plattform für Maler, Musiker, Literaten aus Ost und West sollte die Kulturbrauerei sein, sagt Weiß und erzählt von Tagen voller Tatendrang und Herzblut, aber auch vom Scheitern und von bitteren Lernprozessen. Wie dem, zu erkennen, dass Kultur sich rechnen muss.

Einzigartig findet Stefan Weiß das Areal immer noch, was Lage und Architektur angeht: „Man vermutet die Härte der Stadt nicht, wenn man auf dem ruhigen Hof sitzt.“ Besonders, wenn dazu noch ein sanfter Mädchenchor fürs Konzert abends probt, so wie heute. Aber ansonsten sei die Kulturfabrik ein Ort der Unterhaltung, nicht der Kunst geworden.

Dieser kleine Schmerz, dass sie pragmatisch werden mussten und die Idee Kulturbrauerei nur in Teilen durch die ökonomischen Realitäten retten konnten, den kennen viele Kulturbrauer: Sören Birke von der Firma Consense, die Kesselhaus und Maschinenhaus bespielt, Stefan Dohanetz vom Verein Musikszene/Musikschule Tonart und Drummer der Band Pankow oder Bianca Tänzer und Gabriele Höhne vom Theater Ramba Zamba. Vor 20 Jahren gegründet, integriert Ramba Zamba Behinderte in die Inszenierungen im alten Pferdestall, damals revolutionär, heute weltberühmt. Der doppelte 20. Geburtstag ist für Gabriele Höhne ganz klar ein Grund zum Feiern. Ein Glücksfall sei die Gründung dieser „Insel“ gewesen, sagt sie. „Wir hatten Raum und konnten den gestalten und prägen.“ Ohne die Kulturbrauerei würde es Ramba Zamba so nicht gegeben, sagt Gisela Höhne, auch wenn es heute manchmal mehr Brauerei als Kultur sei. Das ist natürlich eine Anspielung darauf, dass die Kulturbrauerei jetzt abends – abgesehen von Theater oder Klassik-Sommer – mehr Partylocation als Hochkulturtreff ist, was in den Neunzigern anders war.

Christopher Blenkinsop, Ukulelist und Sänger der in der alten Schlosserei ansässigen 17 Hippies, sieht das gelassen: „Diese Umlandskinderpartys im Hof, die vergehen auch wieder.“ Im Gegensatz zur Kulturbrauerei. „Wir haben überlebt“, freut sich Blenkinsop, der seit 1992 hier Musik macht und die Band drei Jahre später hier aus der Taufe hob. Er gehört zu den Künstlern, die nach der Wende ohne Geld, aber mit Ideen scharenweise aus West-Berlin nach Prenzlauer Berg strömten. Und in die Kulturbrauerei. „Es gab Räume, und wir konnten was machen“, sagt er und erzählt die alten Abenteuergeschichten. Wie mit ollen Kühlschränken und selbst gezimmerten Tresen Konzertsäle entstanden, wie die heute weltweit konzertierenden 17 Hippies selbst ihre Küche-Probenraum-Büro-Studio-Etage ausbauten und wie „ihr Wohnzimmer“, das Kesselhaus, für 300 Mark Miete zu haben war. „Heutzutage unmöglich in Berlin.“ Er sei dankbar, sagt er, ohne Kulturbrauerei hätte es die Hippies nie gegeben.

In der Abendsonne im kleinen Hof hinterm Kesselhaus sitzen, roten Backstein sehen, dem geselligen Christopher Blenkinsop zuhören, wildfremde Leute grüßen und dem Probengefiedel der anderen Hippies lauschen – das ist so heimelig wie auf dem Dorfe. Die Härte der Stadt bleibt draußen.

Ah, da kommt Klaus, sagt Blenkinsop, als eine Tür aufschlossen wird und ein schlaksiger Typ mit klapperndem Schlüsselbund zum Vorschein kommt. Klaus leitet die Haustechnik. Seit acht Jahren, erzählt er, also ein ziemlicher Frischling hier. Mit den alten Geschichten vom Wünschen, Wollen, Scheitern und Gelingen hat er nichts zu tun. Überhaupt ist Klaus kein großer Redner. Was er über die Kulturbrauerei denkt? „Ist ’n scharfes Areal.“

Geburtstagsauftakt in der Kulturbrauerei ist am 1. September: 18.30 Empfang im Kesselhaus, 20.30 Uhr Theaterspektakel im Hof mit Feuerwerk und Party, Eintritt frei, www.kulturbrauerei-berlin.de

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