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Kulturverein

© Ataman

''Kulturvereine'': Geschlossene Gesellschaft

Blickdichte Vorhänge, Glücksspiel, keine Frauen: Ein Besuch in den Lokalen, die sich "Kulturvereine" nennen.

Das vergilbte Schild im Schaufenster in der Neuköllner Friedelstraße lässt den Betrachter rätseln: „Kulturverein“ steht darauf. Blickdichte Vorhänge versperren die Sicht auf das, was Kultur sein könnte. Überall in der Gegend – und dort, wo viele Migranten leben – gibt es diese Lokale. Etablissements, von denen man nicht weiß, was sich im Inneren abspielt...

In der selbst ernannten Kulturstätte trinken drei ältere Männer Tee und starren auf einen überdimensional großen Fernseher. Sie schauen Nachrichten auf EuroD, einem türkischen Sender aus Deutschland. Im kleinen Hinterzimmer guckt ein Mann allein vor sich hin. Eine Flasche Bier steht vor ihm auf dem Tisch. Hinter dem Holztresen im Vereinsraum steht ein kleingewachsener grauhaariger Wirt. Offiziell ist er keiner. Er ist der Vereinschef. An der Wand neben ihm hängt ein Schild mit der Aufschrift „Privat“. Der Wirt bietet freundlich Tee an.

Warum eigentlich Kulturverein? Der Geschäftsführer zuckt die Achseln. Ein Anwesender mischt sich ein: „Weil es zu unserer Kultur gehört, zusammenzusitzen und sich zu unterhalten. Was wir hier machen, das ist Teil unserer Kultur.“ Hinter ihm flackern die bunten Lichter eines Glücksspielautomaten.

In den Bezirken Berlins existieren viele sogenannte Kulturvereine, deren Kulturverständnis so undurchsichtig ist, wie die Schaufenster ihrer Lokale. Eigentlich handelt es sich um Kaffeehäuser („Kahvehane“) nach orientalischem Vorbild. Das sind Orte, in denen sich Männer treffen, um unter sich zu sein, etwas zu trinken und zu pokern. Lebensräume, in denen Frauen ausgeschlossen werden, genauso wie Deutsche.

Der Chef im Kulturverein Friedelstraße widerspricht: „Bei uns darf jeder rein, natürlich auch Frauen und Ausländer.“ Mit Ausländern meint er Deutsche. Und alle anderen Nichttürken. Die anwesenden Mitglieder in seinem Laden stammen jedoch alle aus der Türkei. „Mein Kulturverein ist eben für Leute aus Adana“, präzisiert der Ladenhüter. „Ich dachte Antakya“, sagt einer, der bei ihm am Tresen steht.

Zwei U-Bahnstationen weiter in der Morusstraße zuckt auch der Chef im „Fan Sport und Kultur e. V.“ mit den Schultern. Kultur? „Das nennt man halt so. Alle nennen das so“, erklärt der 45-jährige Anatolier, dessen Name ungenannt bleiben soll. Und wenn schon Kultur, dann nicht nur türkische. Unter den 25 Anwesenden im Verein sind „die hier Jugoslawen und die dort Araber“. Alle rauchen und spielen Karten. Ein Türke vom Nebentisch sagt: „Das heißt Kulturladen, weil hier nur Leute mit Kultur rein dürfen.“ Die „ohne Kultur“ sollen bloß draußen bleiben. „Kültürsüz“, kulturlos, ist im Türkischen ein Synonym für ungebildet. Sind Frauen dann kulturlos, weil hier keine sind? Der Vereinschef winkt ab: „Unsere Frauen wollen gar nicht kommen, weil hier nur Männer sind.“ Weibliche Vereinsmitglieder gibt es folglich keine. Und draußen an der Tür steht ein Schild: „Nur für Mitglieder“.

Wieder gibt der selbst ernannte Kulturexperte eine andere These zum Besten: „Wir trinken hier drin Alkohol, deshalb haben Frauen hier nichts zu suchen.“ Es sei eine „Kulturlosigkeit“, vor Frauen zu trinken. Der Mann mittleren Alters hat ein leeres Bier vor sich stehen.

Für die Getränke braucht der Laden übrigens keine Ausschanklizenz. Es ist ja schließlich kein Café. Alkohol kaufen hier nur Vereinsmitglieder. Und die zahlen bei „Fan Sport und Kultur“ einen monatlichen Beitrag. Danach steht ihnen so viel „Kultur“ zur Verfügung, wie sie wollen: Sie können ein- und ausgehen, mit Kollegen Kartenspielen oder türkische Fußballspiele ansehen. 

Ferda Ataman

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