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Stadtleben: Linksrum aufgelegt

Gab es DJs im Sozialismus? Nein, aber dafür Schallplattenunterhalter. Ein Film zeigt jetzt deren Arbeit

Wenn ihn jemand danach fragte, spielte er auch Westernhagen. Obwohl Ive Müller den selbst nicht mochte, hatte er ihn auf einer seiner dutzenden selbst aufgenommenen Kassetten dabei. Unmittelbar danach musste jedoch ein Ost-Künstler folgen, Inka Bause zum Beispiel oder IC Falkenberg. Die waren bei den Jugendlichen in der DDR zwar nicht so beliebt wie die Pop-Stars aus dem Westen, aber die staatlichen Vorschriften für Discjockeys im Osten nahmen darauf keine Rücksicht.

Über Müllers Leben als DJ in der DDR hat der in Berlin lebende Mediendesigner Daniel Breuer eine Kurzdokumentation gedreht. Nachts im Osten heißt sie und ist Breuers Diplomarbeit. Für den knapp zehnminütigen Film begleitete er Ive Müller zu den Clubs, in denen der Leipziger in den 80er Jahren auflegte, in denen die ostdeutsche Jugend feierte.

Der Dreh war ein kleines Abenteuer, sagt der Daniel Breuer, 30. Er stammt aus Aachen, dort lernte er Ive Müller durchs Auflegen kennen. Beim Gespräch unter DJ-Kollegen stellte Breuer fest: Im Osten lief früher einiges anders. Befremdlich waren für ihn die vielen Vorgaben für DJs.

Wer heutzutage auflegen will, braucht ein paar Platten und einen Club. In der DDR aber musste man einen Lehrgang absolvieren. An den kam man nur über Beziehungen ran, sagt Ive Müller, 38, der als Technoproduzent in Dortmund lebt. Er selbst konnte 1987 daran teilnehmen, weil sein Englischlehrer, ein Hobby-DJ, sich für ihn einsetzte. Zwei Monate lang wurde Müller von Kulturfunktionären des FDJ-Jugendverbandes geschult. Ihm wurde beigebracht, dass das Verhältnis zwischen Ost- und Westmusik 60 zu 40 zu betragen hat. Oder dass man das Publikum mit Moderation zum Tanzen animieren soll. Für die abschließende Prüfung musste Müller vor einer Kommission eine Tanzveranstaltung ausrichten. Danach erhielt er die Staatliche Erlaubnis für Schallplattenunterhalter.

Mit dem grauen Ausweis war Ive Müller zur öffentlichen Durchführung von Diskotheken zugelassen. Wer allerdings glaubt, dass dies auch Reichtum bedeutete, der irrt. In dem Ausweis wurde eine Vergütung festgelegt. Ive Müller bekam als Schallplattenunterhalter 6,50 Mark pro Stunde. Nicht gerade viel, wo doch eine Kassette der Firma Orwo 22 Mark kostete. Von denen brauchte Müller etliche, um die Radiosendungen von Rias, NDR 2 oder Bayern 3 mitzuschneiden. Gerne hätte er sich das Thriller-Album von Michael Jackson gekauft. Aber die 150 Mark auf dem Schwarzmarkt waren ihm zu teuer. Trotzdem hat Müller seine Jugend in der DDR in guter Erinnerung. Sehr gerne denkt er auch an den Abend des 9. November 1989 zurück. Da hatte er ein Gastspiel in der Diskothek im Palast der Republik. Die Party begann um 19 Uhr und endete um 24 Uhr so wie alle öffentlichen Jugend-Tanzveranstaltungen. Als Müller danach im Radio vom Mauerfall und den feiernden Menschen am Brandenburger Tor hörte, fuhr er gleich dorthin.

Daniel Breuers Dokumentation kursiert mittlerweile im Internet, bei Youtube zum Beispiel. Freunde haben sie ins Netz gestellt. Ihm selbst ist das nicht unbedingt recht, denn der Film war eine Übung für eine längere TV-Doku. Breuer würde gerne einen Ost-West-Vergleich in Sachen DJ-Kultur machen. Auch wenn ihm nach dem Film vieles obskur vorkam, so hat Daniel Breuer doch eins festgestellt: Die Idee einer DJ-Prüfung ist gar nicht so verkehrt, heute darf sich jeder als DJ hinter einen Plattenspieler stellen. Ive Müller besitzt mittlerweile auch welche. Auflegen mit Kassettenrekorder war ziemlich umständlich.

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