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Minderheit: Warum kommen rumänische Roma nach Berlin?

Roma sind immer verschleppt, versklavt und verfolgt worden. Die Diskussion der vergangenen zwei Wochen um die Roma in Kreuzberg ist nur eine weitere kleine Episode in ihrer traurigen Geschichte.

Die Roma von Kreuzberg erregen die Gemüter. Die als Touristen nach Deutschland Eingereisten wohnen nicht im Hotel, sondern sind über die Zwischenstationen Görlitzer Park, Bethanien und Sankt Marien-Liebfrauen Kirche mittlerweile in einer Notunterkunft in Spandau untergekommen. Im Gegensatz zu richtigen Touristen wollen die Roma nicht wieder zurück in ihre Heimat. Wenn es die überhaupt gibt. Denn bisher ist ihr Volk nirgendwo richtig heimisch geworden.

Ursprünglich sind Roma eine Volksgruppe aus Zentralindien. Ihre Geschichte ist nicht eindeutig geklärt. Jedoch gehen Historiker davon aus, dass sie zwischen 500 und 1000 nach Christi Geburt in mehreren Wellen als Sklaven aus ihrer ursprünglichen Heimat Richtung Westen verschleppt worden sind, zuerst in das Gebiet des heutigen Irans, später in das Osmanische Reich.

Dort waren einige von ihnen auch Soldaten, die in den Eroberungszügen der Osmanen bis nach Wien mitzogen. Andere schufteten in Leibeigenenverhältnissen in der Landwirtschaft, vor allem im heutigen Rumänien und in Ungarn. Wieder andere flüchteten. In ihre ursprüngliche Heimat wollten sie nicht zurück, sie wären dort wieder Sklaven gewesen. Außerdem waren ihre Kultur und Sprache dort in der Zwischenzeit verdrängt worden. Deshalb zogen sie weiter nach Westen.

Auch Deutschland war für die Roma eine Katastrophe

Vor 600 Jahren kamen erste Sinti in Deutschland an. Sinti sind eine Untergruppe der Roma. Sie waren schon im Osmanischen Reich zum Christentum konvertiert und haben deshalb noch mehr unter Repressalien leiden müssen, als andere Roma. In Deutschland waren sie anfangs innerhalb der Oberschicht der hiesigen Bevölkerung wegen der neuen musikalischen Einflüsse und ihres handwerklichen Geschicks beliebt. Auf diese Bevorzugung waren einige eingesessene Musiker und Handwerker neidisch. Um Angriffen zu entgehen, waren die sogenannten Zigeuner gezwungen immer weiter zu ziehen. Obwohl die Sinti- und eben auch die Roma-Kultur eigentlich keine nomadische ist, hat sich die Bezeichnung als „fahrendes Volk“ in diesem Zusammenhang als Vorurteil eingeprägt. Ohne Land hatten die Sinti zudem auch keine Rechte. Aus dieser Diskriminierung wurde dann im Laufe der Zeit eine regelrechte Jagd.

Der Ton wurde schärfer als ab Mitte des 19. Jahrhunderts auch zuvor in Südosteuropa lebende Roma nach Deutschland kamen. Dort wurde Stück für Stück das System der Leibeigenschaft abgeschafft, die Roma waren frei, ihr Glück woanders zu suchen. Als Reaktion auf die Neuankömmlinge wurde 1899 in München die Zigeuner-Polizeistelle gegründet. Alle Sinti und Roma in Deutschland wurden von der Behörde inklusive ihrer Fingerabdrücke erfasst. Den Höhepunkt markierte schließlich die systematische Ermordung von einer halben Million Sinti und Roma in Konzentrationslagern der Nazis während des Zweiten Weltkriegs.

Bis heute lebt die Minderheit größtenteils in Armut

Heute leben nach unterschiedlichen Angaben, alle Untergruppen eingeschlossen, zwischen zwei und zwölf Millionen Roma als Minderheit überall auf der Welt, die meisten in Europa. Genaue Zahlen gibt es nicht, da die amtlichen Statistiken die ethnische Herkunft meist nicht erfassen. Außerdem bekennen sich viele Roma aus sozialen und historischen Gründen nicht zu ihrer Ethnie. Die wahre Zahl dürfte jedoch eher im zweistelligen Millionenbereich liegen. Die meisten Roma leben in Südosteuropa, hohe Schätzungen für die Slowakei, für Ungarn, für Rumänien und für Bulgarien gehen von einem Anteil von annähernd zehn Prozent an der dortigen Bevölkerung aus.

Durch Vorurteile innerhalb der jeweiligen Mehrheitsbevölkerung sind Roma-Kinder im Schulsystem benachteiligt. Nur sehr wenige schaffen es auf ein Gymnasium, noch weniger an eine Universität. Es gibt mittlerweile viele positive Modellprojekte. In Budapest beispielsweise Gymnasien mit kleinen Klassen und viel Betreuung in Problemstadtteilen. Doch vor allem in Rumänien fehlt das Geld für die Minderheit. Die mangelnde Qualifikation wirkt sich negativ auf die Jobsuche aus, hinzu kommen wiederum Vorurteile bei der Bewerberauswahl. Bei einer Arbeitslosigkeit unter den dortigen Roma von über 50 Prozent bleibt vielen keine andere Wahl als betteln zu gehen.

Viele rumänische Roma reisen in den warmen Monaten nach Westeuropa – auch nach Berlin – um hier zu betteln, um hier Autofenster zu putzen und auch, um vielleicht hier zu bleiben. Eine Lösung für die Probleme der Roma ist das nicht. Diese müsste mindestens auf europäischer Ebene gefunden werden, wie es auch Petra Rosenberg am Freitag forderte. Sie ist Vorsitzende des Landesverbands Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg und die Schwester der bekannten Sinti und Schlagersängerin Marianne Rosenberg. Die nach Berlin eingereisten Roma bräuchten kurzfristig humanitäre Hilfe, aber „mittelfristig die Aussicht auf Verbesserung ihrer Lebensumstände in ihrem Heimatland“, sagte sie.

Jörg Zeipelt

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