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Das ungarische Parlamentsgebäude an der Donau. Die ungarische Hauptstadt diente Regisseur Madden als Vorlage für Teile Ostberlins.

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Mossad-Thriller: Eine offene Rechnung – Pankow gefilmt in Budapest

Helen Mirren spielt in ihrem neuen Film eine Mossad-Agentin im Ost-Berlin der 60er Jahre. Den Regisseur stellte der Dreh vor ein Problem: Die Stadt sieht einfach zu modern aus – also wich er nach Ungarn aus.

Jeder kennt das: „Es gibt Tage, da ist es für mich schon eine große Sache, mir nur einen Cappuccino zu besorgen.“ Helen Mirren lacht. Sie sei eben ein fauler Mensch, wenn auch mit schlechtem Gewissen, und dass sie trotzdem seit einiger Zeit in so vielen Filmen zu sehen sei, liege wohl an ihrer Working-Class-Herkunft, der Sorge, dass das Geld irgendwann nicht reichen, man ihr nie wieder eine Rolle anbieten werde, und so nehme sie eine und noch eine.

Gemeinsam mit Regisseur John Madden („Shakespeare in Love“) hat sie jetzt eine dieser Rollen in Berlin präsentiert: die ehemalige, Oscar-prämierte „Queen“ als gealterte Mossad-Agentin. Einen vor Jahrzehnten missglückten Auftrag soll sie zu Ende bringen, „Eine offene Rechnung“ – so der Titel des Thrillers – endlich begleichen und den „Chirurgen von Birkenau“, eine Art Mischung aus Eichmann und Mengele, doch noch ausschalten. Eine Geschichte, die in Ost-Berlin Mitte der sechziger Jahre ihren Ausgang nimmt, und die der Regisseur daher zu gerne auch hier gedreht hätte: „Das Gefühl für den Ort ist sehr wichtig für die Story.“

Allein – Berlin ist auch nicht mehr das, was es mal war, gerade im Ostteil der Stadt nicht, wie Madden bei eine Stadtbesichtigung schnell einsehen musste: „Die Verwandlung verlief so explosiv.“

Und so drehte er die Szenen in einer Ost-Berliner Mietswohnung, wohin das Mossad-Team den Nazi-Arzt verschleppt hat, eben in einem Londoner Studio und die Außenaufnahmen samt neu aufgebauter Mauer in Budapest. Als Ost-Berliner Bahnhof, über den der Arzt Richtung Israel transportiert werden soll, diente dagegen eine Station in der Nähe der ungarischen Hauptstadt. Im Film heißt sie Wollankstraße, den S-Bahnhof gibt es ja wirklich, er lag auf früherem Ost-Berliner Gebiet, aber westlich der Mauer – für eine Entführung, wie sie im Film versucht wird, völlig ungeeignet: Dort ist die Station Wollankstraße ein schwer bewachter Geisterbahnhof im Osten, durch den die Züge in den Westen rollen.

„Ich musste einige Anpassungen vornehmen“, gibt Madden zu, nennt auch noch die Situation an der Bornholmer Straße als Inspirationsquelle für seine Station Wollankstraße und will im Übrigen gar nicht gegen genauere Berliner Ortskenntnis, als er sie besitzt, argumentieren. Solche geografische Detailtreue war nicht das, was ihn interessierte.

Auch die Vorlage des Films, eine israelische Low-Budget-Produktion von 2007, die ebenfalls in Ost-Berlin spielte, hat er nicht sehr intensiv studiert, wollte mehr die psychologischen Aspekte der Geschichte betonen, die Folgen der Lebenslüge der (erst von der Neuentdeckung Jessica Chastain, dann von Helen Mirren gespielten) Agentin und ihrer beiden Mossad-Kameraden: Denn die Tötung des Nazis-Arztes ist ja missglückt, wird von dem tödlichen Trio nur behauptet, gehört nun zu den Siegermythen des Staates Israel, in dem die vermeintlichen Helden herumgereicht werden.

Diese Vielschichtigkeit war auch das, was für Helen Mirren die Geschichte spannend machte. Und sie lief mit solch einem Agentenstoff auch keine Gefahr, in die „Queen“-Rolle zurückgepresst zu werden. Denn so schön der

"Die Verwandlung Berlins verlief so explosiv", sagt Regisseur John Madden. Helen Mirren, 66, spielt die Hauptrolle im Film „Eine offene Rechnung“ und stellte den Thriller in Berlin.
"Die Verwandlung Berlins verlief so explosiv", sagt Regisseur John Madden. Helen Mirren, 66, spielt die Hauptrolle im Film „Eine offene Rechnung“ und stellte den Thriller in Berlin.

© dpa

Oscar war und so dankbar sie dafür ist, wie sie versichert – sie hütet sich nun doch vor allen ähnlichen Rollen, will nicht festgelegt werden: „Nichts Aristokratisches!“ Dann schon lieber ein paar blaue Flecken, die es für sie, gibt sie zu, als gealterte und reaktivierte Mossad-Agentin reichlich gab. Zum Glück habe sie einen guten „Fight Director“ gehabt, der die Kampfszenen mit ihr präzise choreografierte – ihren besonderen „geriatric fight“, mit erkennbaren Schwierigkeiten, sich vom Boden wieder aufzurappeln.

Der finale, nicht ganz freiwillige Kampfeinsatz der 66-jährigen Schauspielerin ist nicht die einzige Überraschung in dem Agentenfilm. So muss es irritieren, dass das allein schon bei seinem Nahkampftraining sehr lautstarke Trio in dem offenbar nur von tauben Ost-Berlinern bewohnten Mietshaus nicht weiter auffällt. Doch trotz solcher kleinen Ungereimtheiten und dem freien Umgang mit dem Ost-Berliner Stadtplan ist doch ein spannender, psychologisch überzeugender Thriller voller überraschender Wendungen entstanden, der besonders wegen der präzisen schauspielerischen Leistung Helen Mirrens überzeugt, der die ihrer jungen Kollegin kaum nachsteht. Und nicht zuletzt erfährt der staunende Zuschauer, was in einem alten Barkas wirklich drinsteckt. Gefahren von einem flüchtenden Mossad-Agenten, wird der nicht gerade übermotorisierte Kleintransporter aus DDR-Produktion zur Rakete.

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