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Radfahren in Berlin ist nicht immer lustig. Manch einer fährt lieber mit Bus, Bahn oder Tram.

© dapd

Münchnerin in Berlin: Radlfahren in der Hauptstadt – eine Erfahrung

Eine Münchnerin lernt beim Radfahren in der Hauptstadt die Berliner Mentalität kennen. Drei Monate, zwei Platten und mehrere Beschimpfungen später fährt sie Bus und Bahn und sehnt sich zurück nach München.

Eines vorweg: Ich habe große Stücke auf Berlin gehalten, bevor ich hierher gezogen bin. Eine tolerante Hauptstadt, die alles zu bieten hat und in der jeder, von Fahrrad- bis Autofahrer, ein Plätzchen findet. Und: Ich fahre für mein Leben gerne Fahrrad. Früher fast zehn Kilometer über die Feldwege zur Schule, dann als Studentin durch Tübingen und in den vergangenen Monaten durch München. Bereits wenige Wochen nachdem ich nach Berlin gezogen, steht mein neongelbes Mountainbike Baujahr 1990 im Keller. Es hat einen Platten und ich keine Lust mehr.

Alles fängt damit an, dass mich meine neue Mitbewohnerin auf den Schienenersatzverkehr in der Schönhause Allee hinweist. Die Straße müsste ich entlang radeln, um zur Arbeit zu kommen. „Lass es lieber“, warnt sie mich, „ist nicht schön. Ständig halten Busse und du musst höllisch aufpassen, keine Fußgänger zu überfahren, die unbekümmert aus dem Bus springen.“ Tatsächlich widerfährt mit genau das bei meiner Probefahrt. Überall wildes Menschengewusel auf dem Fahrradstreifen, die Klingel im Dauereinsatz. Es kommt mir vor, als steigen Außerirdische aus einem Ufo und sehen zum ersten Mal ein Fahrrad. Wie in Zeitlupe muss es in ihren Köpfen rattern: „Ohhhh, daaa sooollteee iiich wooohl maaal zuuur Seeeiiiteee geeeheeen.“ Vielleicht ist es auch einfach nur Berliner Mentalität, wenig Rücksicht auf andere zu nehmen.

Die Gefahr lauert noch anderswo. Vor mir trödeln lahme Holland-, hinter mir rasen verrückte Rennradler ohne Bremsen. Dass letztere wiederum ein Ärgernis für Fußgänger sind, glaube ich sofort. Ich bin mir sicher, dass da ein Berliner Fahrrad-Fußgänger-Krieg herrscht, frei nach dem Motto „Brems oder falle“, beziehungsweise „lauf oder stirb“.

Ich bin Velo-Pazifistin und steige auf die S-Bahn um. Aber wenigstens fünf Minuten will ich von meiner Wohnung in Pankow zur Haltestelle Bornholmer Straße und abends zurück radeln. In die Quere kommen mir statt Ignoranten haufenweise Glasscherben. Der öffentliche Alkoholkonsum ist in Berlin nicht nur toleriert, er gehört – spätestens ab 16 Uhr – zum Stadtbild. In München ist der in diesem Ausmaß allenfalls Ende September zu sehen. Aber gut, München ist bei weitem nicht Berlin und der Vergleich ist zwecklos. (Und nur nebenbei: Auch in anderen deutschen Städte wie München lässt es sich schön leben, selbst wenn mir die Berliner das nicht glauben wollen.) Meinetwegen kann ganz Berlin an der Pulle nuckeln. Aber bitte, lieber Berliner, seids so freundlich und nehmts eure Pfandflaschen wieder mit. Gibt erstens gleich a bisserl Geld und zweitens würde es mir und anderen Radlern die Slalomfahrt um Glasscherbenhaufen ersparen. Meine Bemühungen sind vergeblich. Nach drei Wochen zum ersten Mal, ganz langsam und leise „pfff“ und die Luft ist raus, als ich an der S-Bahn Station ankomme.

An jenem luftleeren Tag laufe ich auf dem Nachhauseweg zum erstbesten Fahrradladen. „Neuer Schlauch?“, fragt der Typ mit den blonden kurzen Haaren und den schwarzen Fingern. „Ne, gleich einen neuen Reifen!“, sage ich. Sicher ist sicher, denn die Dinger sind schon alt. Weswegen ich auch vor wilden Flüchen über diese Stadt und ihre Bewohner absehe. Vielleicht waren die Glasscherben unschuldig. Vielleicht hätte ich auch anderswo einen Platten bekommen. Der Fahrradexperte will mir einen Reifen mit ordentlichem Profil andrehen. „Ne“, sage ich, „Ich fahr ja fast nur in der Stadt.“ „Na, haste dir die Wege hier mal angesehen?“, fragt er und überzeugt mich.

Ich glaube schon, in Ruhe weiterfahren zu können. Doch diese Stadt weiß das zu verhindern. Verkehrsregeln scheinen für die Berliner einen besonders großen Stellenwert in ihrem Leben zu haben, zumindest wenn es darum geht, dass andere sie einhalten. Grundsätzlich halte auch ich es für äußerst sinnvoll, Verkehrsregeln zu beachten. Aber so ein kleines Stückchen auf der falschen Straßenseite auf dem Fahrradweg fahren – zumindest von den sonst so toleranten Berlinern hatte ich erwartet, dass sie da ein Auge zudrücken. Immerhin, die Polizisten hier tun es. Ein Berliner wäre wohl aber kein Berliner, wenn er sich nicht selbst zum Sheriff ernennen würde. Und so kommt es, dass ich in vier Wochen trotz Ausweichen und langsamem Fahren öfter für meine Straftat beschimpft werde, als in einem ganzen Radl-Jahr in München. Dort ist mir das kein einziges Mal passiert.

Den Höhepunkt dieses grummeligen Schimpfens erlebe ich, als ich auf der richtigen Seite gemütlich im Slalom um die Scherbenhaufen nach Hause gurke und mir ein Falschfahrer mit erhobenem Zeigefinder entgegenbrüllt: „Sie, sie sind ja auch eine von denen, die auf der falschen Seite fahren.“

Und dann kommt der Tag, an dem mein Drahtesel ein letztes Mal Berliner Stadtluft schnuppert. Es ist ein regnerischer Abend, ich saß schon den ganzen Tag mit nassen Füßen im Büro. Mir ist kalt, es ist spät und schon dunkel, ich will schnell nach Hause. Nach zwei Minuten stehe ich an der ersten Ampel und höre ein seltsames Rauschen. Die anfahrende Straßenbahn? Der Fahrradfahrer auf der anderen Straßenseite? Nein, näher. Das Vorderrad. Diesmal verabschiedet sich die Luft schneller. Nach fünf Metern fahre ich auf dem Felgen. Ich fluche. Ich fluche über diese Stadt, ich fluche über ihre Bewohner, über die Alkoholindustrie, über die Straßenreiniger und über diesen Berliner Sommer, und bei all dem Fluchen muss ich aufpassen, nicht vom Rad zu fallen. Auf Felgen fährt es sich wie auf Eiern.

Ich trage mein Rad wütend in den Keller. Seither stehe ich 15 Minuten früher auf, um zur S-Bahn Haltestelle zu laufen. Ich bin enttäuscht von dieser Stadt, die sich für die beste und schönste in ganz Deutschland hält, die mit ihrer Unsauberkeit angibt und deren Bewohner gerne schimpfen, sich selbst aber nur ungern an Regeln halten. Das Fahrradfahren ist eine von vielen Möglichkeiten, all diese Erfahrungen selbst zu machen. Det is Balin, sagen die Berliner dann stolz. Is ma wuascht, sage ich. Ich freue mich auf München.

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